Time of the Pine Forests

A Family Remembers a Grandfather’s Return as an Officer (of the Wehrmacht)

[Translate to Englisch:] Im Mittelpunkt dieses – auch als Selbsthistorisierungsversuch angelegten (auto-)biographischen – Buchprojekts steht ein Familienmitglied des Autors: dessen Großvater mütterlicherseits, der 1944 im Rang eines Generalmajors der Deutschen Wehrmacht in Italien bei einem Partisanenüberfall ums Leben kam. Jahrgang 1895 war dieser Großvater als Angehöriger der jungen Frontgeneration des Ersten Weltkriegs von 1914 bis zu seinem Tod dreißig Jahre lang Berufsoffizier: in der Preußischen Armee des Kaiserreichs, der Reichswehr sowie in der Wehrmacht. Dem Projekt geht es jedoch weder um eine möglichst vollständige Offiziersbiographie noch darum, einen bestimmten Teilaspekt darzustellen, etwa die Chronologie der militärischen Aktivitäten des Großvaters während des Zweiten Weltkrieges.

Die entscheidende Rolle spielen vielmehr zwei miteinander korrespondierende Sattelzeiten: das Wendejahr 1989 löste innerfamiliär einen um fast ein halbes Jahrhundert verzögerten Erinnerungsprozeß aus, der auf das Jahr 1944 zuläuft. 1989 stellt in diesem Projekt das Schlüsseljahr dar für die Entdeckung tabuisierter innerer und sich allmählich nach außen kehrender Kontinente. Deren Metapher ist der Kiefernwald. Mit der Rückkehr des deutschen Ostens, des Herkunftsraums der Familie mütterlicherseits, in das historische Gedächtnis entwickelte der Verfasser ein Geschichtsbewußtsein, das ihn erstmals seinen militärischen Herkunftskomplex entdecken ließ. Die bio- wie autobiographisch bislang ungeahnte Bedeutung dieses Komplexes bildet den Hauptuntersuchungsgegenstand. Wichtigste empirische Grundlage sind dabei die wenigen persönlichen Hinterlassenschaften des Großvaters: ein Notizbuch sowie ungefähr sechzig Fotografien.

Die Quellen stammen aus dem Sommer des Kriegsjahres 1944, den letzten Lebensmonaten des Großvaters, in denen dieser die in Mittelitalien operierende 20. Luftwaffenfelddivision kommandierte. Von den Archivalien der Kriegstagebücher der 20. Lw.-Felddivision unterfüttert, sind die privaten (Kriegs-)Fotografien das maßgebliche Mittel des Annäherungsversuches an einen Großvater, den der Verfasser nie kennengelernt hat, der jedoch in seiner Funktion als Wehrmachtsgeneral den geheimen wie stimulierenden Fluchtpunkt familiärer Erinnerung darstellte.

In »Zeit der Kiefernwälder« geht es vornehmlich um zwei Fragen: Wie hat sich das Familiengedächtnis dieses Großvaters als Repräsentanten des (soldatischen) Mannes angenommen? Wo blieb der Krieg, den dieser Großvater als Offizier repräsentiert hat? Die erste Frage wird im Zeitgeschichtsraum der frühen Bundesrepublik beantwortet, deren Nachfolgebewußtsein in einem Resonanzraum vornehmlich weiblicher Stimmen Gestalt annimmt. Nachlaßverwalterinnen der Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg sind in der Familie des Verfassers die aus den Ostgebieten geflüchteten Offizierswitwen und -töchter, Sozialisationsinstanzen eines zwar entmilitarisierten, gleichwohl jedoch weiterhin ständischen Offiziersethos. Die dergestalt aus dem öffentlichen Geschichtsbewußtsein der alten Bundesrepublik verbannte Erfahrung des Krieges findet sich am Ursprungsort der ererbten Fotografien: in Italien, wo an den authentischen Kriegsschauplätzen die Geschehnisse des Jahres 1944 in Form mikrogeschichtlicher Lokalstudien rekonstruiert werden.

Nach dem kommunikativen Beschweigen in der ersten Nachkriegszeit, der moralistischen Distanzierung seit dem Ende der sechziger Jahre, versteht sich dieses Projekt als Teil einer dritten Epoche bundesrepublikanischer Erinnerungspraxis. Die inzwischen erfolgte historische Distanz ermöglicht eine genealogische Perspektive, die es erlaubt, die Ereignisse des Zweiten Weltkriegs wie des Holocausts in einen intergenerationellen Zusammenhang zu stellen. Das Unternehmen vermittelt das historische Nah- mit historischer Fernerinnerung und bewegt sich an den Scheidelinien von Sozialwissenschaft, Essayistik und Roman; anstelle der Brüche betont es die kulturelle Kontinuität zwischen den Generationen. Dazu bedarf es nicht nur der Verwandlung von Erinnerung in Geschichte, sondern auch der Distanz zwischen Enkeln und Großeltern.

Das Projekt wurde im April 2001 am Hamburger Institut abgeschlossen und extern fortgeführt.