Im Fokus der interdisziplinären Gruppe stehen Gewaltphänomene – und das ist mit dem Begriff der Makrogewalt gemeint – , deren Auftreten unmittelbare Rückwirkungen auf die Struktur ganzer politischer und gesellschaftlicher Systeme haben. Dabei stehen empirische wie theoretische Fragen im Mittelpunkt, und es werden unterschiedliche Weltregionen, teils komparativ, in den Blick genommen. Es geht darum, Gewalt von unten ebenso wie (staatliche) Gewalt von oben zu beleuchten, Gewalt im Krieg ebenso wie Gewalt, die aus einem Konfliktparadigma herausgelöst ist.
Die Forschungsgruppe führt den bisherigen Forschungsschwerpunkt zu Gewalt am HIS weiter, setzt zugleich aber auch eigene Akzente gerade mit Bezug auf Theoriebildung.
Die internationale Gewaltforschung hat sich in den letzten Jahrzehnten rasant entwickelt, wobei insbesondere der Blick auf Gewaltphänomene und eine Theoretisierung der konkreten Gewaltsituation im Mittelpunkt stand. Es ist gleichwohl unverkennbar, dass demgegenüber die Fragen nach der (Eigen-) Dynamik von Gewaltprozessen, nach ihrer Darstellbarkeit und nach der räumlichen und temporalen Kontextualisierung von Gewaltsituationen in den Hintergrund geraten sind. Hier schließt die Arbeit der Gruppe an. Folgende Themen beschäftigen die Forschungsgruppe unter anderem:
a) Die (Eigen-) Dynamik von Gewalt
Obwohl in der Fachliteratur häufig von der Eigendynamik der Gewalt und ihrem Prozesscharakter die Rede ist, sind gleichwohl theoretische Analysen zu diesen Begriffen eher selten. Allgemein lassen sich folgende Fragen formulieren: Weshalb dauern manche Gewaltkonflikte jahrzehntelang an, während andere nach kurzer Zeit beendet sind und wieder andere in einen Stop-and-Go Modus zu verfallen scheinen? Welche Faktoren stabilisieren oder unterbrechen derartige eigendynamische Gewaltphänomene? Gibt es im Untersuchungsfeld der Gewalt besondere Bedingungen, die Eigendynamiken auslösen, Bedingungen, die bei nicht-gewaltsamen Formen des sozialen Handelns so nicht zu finden sind?
b) Die Typologie von Gewaltformen
Wenn man nun also davon ausgeht, dass zwar in einigen, aber nicht in allen Gewaltformen von Eigendynamiken auszugehen ist, dann kommt es darauf an, Gewalttaten genau zu typisieren und deren Spezifika herauszuarbeiten. Die Forschungsgruppe macht terroristische Gewalt ebenso wie sexuelle Gewalt zum Thema, analysiert die von unstrukturierten Massen begangenen Gewalttaten ebenso wie die, die von Organisationen und (staatlichen) Institutionen begangen wurden und werden.
c) Gewalt und Staat
In jüngerer Zeit ist in der Genozidforschung – aber nicht nur dort – verstärkt darauf hingewiesen worden, dass sowohl das Vorhandensein, als auch das Fehlen bestimmter staatlicher Strukturen jeweils besondere Bedingungen für das Auftreten exzessiver Gewalt schaffen können. Die Forschungsgruppe beschäftigt sich – nicht zuletzt auch in kulturvergleichender Perspektive – mit den unterschiedlichen Ausprägungen der Funktionsweisen des staatlichen Gewaltmonopols, denn es steht zu vermuten, dass die ursprünglich von Max Weber geprägte Definition nicht mehr ausreicht, um verschiedene Formen der Ermöglichung und Einhegung von Gewalt zu analysieren.
d) Das Ende der Gewalt
Eine scharfe Unterscheidung zwischen Krieg und Frieden ist nicht nur dann problematisch, wenn die Friedensschlüsse nicht von allen Konfliktparteien akzeptiert werden, wie dies z.B. in Bürgerkriegen häufig der Fall ist. Wie gehen Post-Konfliktgesellschaften mit der nach wie vor virulenten Gewalt um, wenn sich nicht alle Parteien an das Gewaltverbot halten? Welche Formen der Gewalt werden verlagert oder entstehen erst im Nachkrieg, welche werden schlicht ignoriert und welche Auswirkungen hat all dies auf den "friedlichen" Alltag und Konzeptualisierungen von Normalität?
Zu den Teilprojekten der Forschungsgruppe Makrogewalt am HIS zählen u. a. die Postdoc-Projekte des Soziologen Dr. Stefan Malthaner zu "Eskalationsdynamiken und unterschiedlichen Formen politischer Gewalt" sowie das Dissertationsprojekt der Sozialwissenschaftlerin Laura Wolters zu "Gruppenvergewaltigungen".
Aktueller Sprecher der Forschungsgruppe ist Prof. Dr. Stefan Malthaner