Zwischen Nationalismus und weltbürgerlichem Universalismus – eine Studie zum Werk Hans Kohns

Gegenstand des Dissertationsprojekts sind die nationalismustheoretischen Arbeiten des Historikers Hans Kohn (1891 – 1971). Zumeist wird dessen Name nur mit der typologischen Einordnung nationaler Phänomene anhand politisch-geographischer Großräume und daran gekoppelter Nationalismuskonzepte verbunden. Sein spezifischer, an der jüdisch-universalistischen Tradition orientierter Zugriff auf die Phänomene Nation und Nationalismus geriet dagegen weitgehend aus dem Blickfeld.

Die moderne jüdische Nationalbewegung, der Zionismus, befand sich anfangs des 20. Jahrhunderts in einem Prozess der Gliederung nach politisch-theoretischen Grundausrichtungen. Eine zwar nur von wenigen, insbesondere deutschsprachigen postassimilatorischen Juden getragene, jedoch einflussreiche Richtung, die nicht nur die Identitätskonflikte in der Diaspora bewältigen, sondern einen umfassenden Anspruch auf religiöse und geistig-kulturelle Neubelebung zur Geltung bringen wollte, wird mit dem Begriff Kulturzionismus bezeichnet. Zu dessen aktivsten Verfechtern zählte der in Prag geborene Hans Kohn. Gegen den Homogenität postulierenden Nationalismus europäischer Provenienz vertrat er einen Nationalismusbegriff, welcher der territorialen Determinierung enthoben war und die scheinbar natürliche Verflechtung mit Staat und Herrschaftsgebiet zurückwies. Als aktiver Zionist versuchte er im Palästina der 20er Jahre dem Konzept eines universalistisch legitimierten Nationalismus für einen binationalen Staat zur politischen Wirksamkeit zu verhelfen – befand sich damit jedoch bald in einer Minderheitenposition. Der politischen Isolation ausweichend, reüssierte er in den Vereinigten Staaten als Historiker und publizierte bis zu seinem Tod umfangreiche Materialsammlungen und Analysen, in deren Zentrum der Themenkomplex Nationalismus stand.

Die kultursoziologische Studie zielt auf zweierlei:
Zum einen soll anhand von Kohns Werk eine Denkrichtung in ihrem zeitgeschichtlichen Kontext rekonstruiert werden, die dem Zionismus mit messianischen und chassidischen Elementen eine eigene Kontur jenseits rein politischer Souveränitätsbestrebungen verleihen wollte. Diese stellte sich nicht nur in engen Zusammenhang mit der jüdischen Tradition, sondern setzte sich auch intensiv mit europäischer Aufklärung, Deutschem Idealismus und libertärem Sozialismus auseinander. Ihre Ausläufer sind noch bis zur Gründung Israels und darüber hinaus auszumachen; in Deutschland und Europa hingegen wurde sie durch die Shoah fast vollständig zerstört und erschien späterhin nurmehr, wie Kohn rückschauend schrieb, als unverbundene untergegangene Epoche.
Zum anderen sollen neben den Schriften des politischen Akteurs insbesondere die des Historikers und soziologisch informierten Beobachters untersucht werden. Im Laufe mehrerer Jahrzehnte näherte sich Kohn dem Phänomen Nationalismus mit wechselndem Blickwinkel und unterschiedlicher Akzentsetzung. In seinem Werk spiegeln sich somit die Entwicklung zentraler Fragestellungen und zum Teil bis heute nachhallende Kontroversen in der Nationalismusforschung wider. In der Studie, die voraussichtlich 2010 abgeschlossen sein wird, werden die maßgeblichen theoretischen Positionen Kohns erörtert und vor allem die Herleitung und spezifische Struktur seines universalistisch-weltbürgerlichen Nationalismusbegriffs vor dem Hintergrund der neu entfachten Debatte über den Kosmopolitismus diskutiert.

(Stand September 2009)