Vom Denkmal zum "Nachdenkmal" – Zum kritisch-reflexiven Umgang mit "Türkendenkmälern" im Wiener öffentlichen Raum

Projektstart: April 2011
Silvia Dallinger

Das Projekt ist eines von insgesamt drei Dissertationsprojekten, die das interdisziplinäre Team (DOC-team) "’Die Türken vor (und in) Wien’ – Zur Vermittlung und Vergegenwärtigung von Geschichtsbildern der ‚osmanischen Bedrohung’ in Österreich" bilden.


Untersucht wird die Vielfältigkeit eines seit Jahrhunderten im kollektiven Gedächtnis Österreichs (und Europas) verankerten und verinnerlichten Geschichtsbildes "der Türken", welches vor allem durch das wiederholte Gedenken an die Zweite Wiener Türkenbelagerung 1683 manifest wurde.

Im Wiener öffentlichen Raum befinden sich rund 150 Denkmäler, die auf unterschiedliche Weise an die Türkenbelagerungen erinnern und damit Türken(feind)bilder vermitteln und tradieren. Diese Denkmäler dienen der Repräsentation und als Stützen einer hegemonialen Geschichtsversion von 1683 und sind damit Teil eines politischen Symbolsystems.

Die Bedeutung der Zweiten Wiener Türkenbelagerung für das österreichische Selbstbewusstsein liegt darin begründet, dass mit diesem Sieg das "christliche Abendland" endgültig vor der "Gefahr aus dem Osten" gerettet worden sei und das "österreichische Heldenzeitalter", der Aufstieg des Habsburgerreiches, begonnen habe.

Seit den Türkenkriegen werden von den jeweilig vorherrschenden Machteliten immer wieder stereotype Feindbilder über "die Türken" benutzt, die jeweils um aktuelle Elemente erweitert und so für die Gegenwart nutzbar gemacht werden. Vor allem die Jubiläen 1883, 1933 und 1983 wurden im großen Stil in Form von Umzügen und Aufmärschen, kirchlichen Feierlichkeiten, Ausstellungen und der Errichtung von Denkmälern begangen. Warnungen vor einer "Dritten Türkenbelagerung" z.B. seitens rechtskonservativer Parteien im Rahmen aktueller Migrations- und Integrationsdebatten verweisen auf eine nach wie vor praktizierte Rückprojektion neuerer Konflikte in die ältere Geschichte und die Manifestation von Ab- und Ausgrenzungsmechanismen.

Bis heute wird der Türkenbelagerung von 1683 in der Öffentlichkeit selten kritisch gedacht. Das Gedenken hat sich in einem stabilen "Erinnerungsort" manifestiert, der einen Referenzrahmen für die Ausbildung von v.a. nationalen und religiösen Identitäten bietet. In dem Projekt sollen die Kontexte der Entstehung von Geschichtsmythen und -bildern über "die Türken" sowie ihr Instrumentalisierungspotential und ihre Verankerung in der sozialen Erinnerungspraxis untersucht werden. Gefragt wird dabei auch nach den latenten Wirkungsweisen und oft verdeckten Reproduktionsformen dieser Ressentiments.

Ausgangspunkt der Untersuchung bildet ein "Türkendenkmal", das den "Erbfeind" als besiegten, verspotteten Feind zeigt. Es befindet sich über dem Eingang zum Gemeindebau "Türkenritthof" im 17. Wiener Gemeindebezirk Hernals. Der Türkenritt war ein zwischen 1683 und 1783 alljährlich zur Feier des Hernalser Kirchtags begangener Maskenumzug. Im Mittelpunkt stand ein als türkischer Pascha Verkleideter, der verkehrt auf einem Esel ritt und so zum Gespött der Leute gemacht wurde – eine Satire auf den "schmählichen" Abzug des Kara Mustapha, des damaligen Oberbefehlshabers des osmanischen Heeres, nachdem die Schlacht um Wien verloren war. Die Erinnerung an den "Türkenritt" hat sich bis in das 20. Jahrhundert erhalten: Bis Ende der 1980er Jahren gab es wiederholt Versuche, den Brauch wieder zu beleben.

Im Türkenritt als Brauch und Denkmal kommt die Konstruktion und Perpetuierung des Feindbildes "Türke" besonders demonstrativ zum Ausdruck. Ausgehend von der expliziten Symbolik von Abgrenzung und Abwertung von einem vermeintlich "Anderen" und aufgrund der wiederholten Wiederbelebungsversuche des Brauches kann ein kritisch-reflexiver Umgang mit (historischen) "Türken(feind)bildern" diskutiert werden.

Fragen zur Wahrnehmung, den Be/Deutungen, Verwendungen und Funktionen von Denkmälern wie dem Türkenritt-Denkmal sowie des Gedenkens an die Türkenbelagerungen im Allgemeinen stehen im Mittelpunkt des Forschungsinteresses. Wie ist die soziale Erinnerungspraxis an 1683 beschaffen? Welche Bezüge werden zu zeitgenössischen Diskursen hergestellt? Wie sollte bzw. könnte man heute mit diesen Denkmälern bzw. mit dem Gedenken an 1683 umgehen? Und welche Potentiale bietet insbesondere die Kunst für eine kritische Neubewertung des "Türkengedächtnisses"?

Das Projekt wird im Rahmen eines DOC-teams [Doktorand(inn)engruppe für disziplinenübergreifende Arbeiten in den Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaften] aus Mitteln des Österreichischen Ministeriums für Wissenschaft und Forschung finanziert und ist ein Förderungsprogramm der Österreichischen Akademie der Wissenschaften.

(Stand Mai 2011)