Weltgesellschaftstheorien im Vergleich

Projektstart: Januar 2012
Fatima Kastner

Das Kooperationsprojekt (mit dem Institut für Weltgesellschaft/Bielefeld) befasst sich mit makrosoziologischen Konzepten, deren Analysefokus auf globaler Ebene liegt.


Eine Vielzahl der makrosoziologischen  Entwürfe bezweifeln und bestreiten, dass es voneinander streng abgrenzbare Nationalstaaten und damit voneinander unabhängige Entwicklungen einzelner Gesellschaften gibt. Ihre Perspektive zielt über die bloße Identifizierung staatlicher Akteure und die Generierung kollektiv bindender Entscheidungen hinaus. In deutlicher Abgrenzung zu atomistischen Konzepten, behaupten sie, dass regionale und lokale Zusammenhänge ohne die Beachtung gesellschaftlicher Ordnungsbildungsprozesse auf globaler Ebene nicht angemessen zu verstehen sind. Unter diesem Gesichtspunkt unterscheiden sie sich grundlegend von herkömmlichen sozialwissenschaftlichen Arbeiten, die sich an definierbare territorialstaatliche Einheiten und den damit verbundenen Problemstellungen orientieren.

Seit den frühen 70er Jahren sind eine Vielzahl von Konzepten translokaler Sozialität auf unterschiedlichen Forschungsfeldern und Disziplinen entstanden. Prominenteste Beispiele bilden hierfür 1) die Interdependenz- und Weltsystemtheorie von Peter Heintz und Immanuel Wallerstein, 2) der "World Polity" Entwurf der Forschergruppe um John W. Meyer, 3) die Weltgesellschaftstheorie von Niklas Luhmann und 4) seit den 80er Jahren die Globalisierungstheorien "reflexiver Modernisierung" von Anthony Giddens und Ulrich Beck, um nur einige wenige, konzeptionell eigenständige makrosoziologische Entwürfe zu nennen. Bei aller Heterogenität der Weltgesellschaftstheorien ist all diesen makrosoziologischen Konzepten gemeinsam, dass sie den Analysefokus nicht auf der Ebene des einzelnen Nationalstaates, sondern auf globaler Ebene setzen.

Das Forschungsprojekt fokussiert sich primär auf die Konzepte von Meyer und Luhmann, die die These vertreten, dass sich faktisch eine Weltgesellschaft -  als eigenständige Realitätsebene zum strukturellen Bezugshorizont für alle sozialen Prozesse - herausgebildet habe. Dieser Realitätsbereich determiniert nicht nur untergeordnete soziale Ebenen, sondern wird durch die Konsolidierung der "World Society" erst hervorgebracht.

Während in klassischen Soziologien soziale Ordnungsbildungsprozesse hinsichtlich spezifischer menschlicher Bedürfnisse oder gesellschaftlicher Problemstellungen abgeleitet werden, verzichten Meyer und Luhmann gänzlich auf die Kategorie einer Anthropologisierung und postulieren stattdessen, dass sich Ordnungsstrukturen eigendynamisch durch Prozesse der Routinisierung und Habitualisierung herausbilden. Die Reproduktion des Sozialen erfolgt demnach nicht nach Gesichtspunkten bewusster Zielsetzungen, der Steigerung von Rationalität oder durch Internalisierung von Wert- und Normvorstellungen, als vielmehr durch die Orientierung an spezifische Praxen und den damit verbundenen Normalitäts- und Wissensunterstellungen, die sich wiederum in Handlungserwartungen, Handlungsroutinen und Verhaltensstandardisierungen niederschlagen.

Während sich im Rahmen der neoinstitutionalistischen Weltkulturtheorie aus dieser Forschungsperspektive ein zunehmender Prozess der globalen Integration und weltweiten Isomorphie ergibt, folgt aus der systemtheoretischen Analyserichtung eine gegenläufige Bestimmung der Verhältnisse. Statt globaler Diffusion sozialer Strukturmuster identifiziert Luhmann widersprüchliche Logiken einer Vielzahl funktional ausdifferenzierter Teilsysteme. Damit werden nicht Homogenität induzierende Prozesse, als vielmehr Differenz verstärkende Effekte als Problemhorizont und Analysezusammenhang fokussiert.

Hinsichtlich der unterschiedlichen Akzentuierung weltgesellschaftlicher Dynamiken und deren Effekte besteht das Forschungsinteresse darin diese divergierenden Blickrichtungen in doppelter Hinsicht zu problematisieren. 1.) Im Hinblick eines allgemeinen Vergleichs geht es um eine klare Konturierung der konzeptionellen, methodischen und empirischen Ausrichtung der beiden Makrosoziologien zu- und gegeneinander, um Möglichkeiten und Grenzen der Kompatibilität zu diskutieren. 2.) Ein jeweils innertheoretischer Problembezug soll Schwächen und Defizite der jeweiligen Konzeption beleuchten, aber auch mögliche Potentiale zur Weiterentwicklung entfalten.

In Bezug auf den Neoinstitutionalismus in der Folge des World Polity Ansatzes betrifft dies beispielsweise das (Abkoppelungs- und Wechselwirkungs-) Verhältnis globaler Diffusionsprozesse einerseits und der regionalen, oder lokalen Aneignungspraxis globaler Strukturvorgaben anderseits.
Analog hierzu stellt sich im Blick auf die Systemtheorie die Frage, inwieweit von einer Vollrealisierung funktionaler Differenzierung in der Weltgesellschaft überhaupt die Rede sein kann. Wo verlaufen die Grenzen funktionaler Dynamiken und welche kulturellen und traditionsbedingten Voraussetzungen sind dafür bestimmend oder konterkarierend?

Das Projekt möchte einen Beitrag zur Beschreibung von Verselbständigungs- und Globalisierungsdynamiken einzelner Funktionssysteme (z. B. Finanz- und Wirtschafts-, Politik und Rechtssystem) leisten, um anschließend das Verhältnis funktionaler Systeme zu anderen Strukturmomenten der Weltgesellschaft, wie Organisationen, Weltereignisse, Netzwerke oder epistemische Gemeinschaften präziser bestimmen zu können. Im Anschluss daran wäre zu diskutieren, inwieweit diese unterschiedlichen Prozesse der "Weltvergesellschaftung" im "Ganzen" zu begreifen und konzeptionell neu zu fassen wären.

(Stand August 2012)