Fundamentale Krisen des britischen Imperiums 1765-1960

Imperiale Integration, imperiale Transformation und "kritische Kollaborateure"
Projektstart: Juni 2012

Kooperation ist ein wichtiges Thema der jüngsten Konjunktur der Imperiengeschichte. Imperiale Machtprojektion und Herrschaft an der Peripherie wird zunehmend als fragil verstanden: Ohne die Zusammenarbeit mit indigenen Eliten vor Ort wäre sie mangels entwickelter Staatlichkeit und Erzwingungsmacht nicht möglich gewesen. Diese Revision des früheren Bildes vom übermächtigen expansiven Imperium bringt aber neue Schwierigkeiten mit sich. Sie verlagert die Aufmerksamkeit – auch im Sinne eines politischen Korrektivs einer lange Zeit auf imperiale Protagonisten fixierten Geschichtsschreibung – auf die Agency indigener Akteure, verzichtet aber im Gegenzug meist darauf, die Funktionsweise des Imperiums selbst zu hinterfragen, das damit erneut als im wesentlichen monolithische, mitunter gar statische historische Struktur erscheint.

Das Projekt beabsichtigt demgegenüber eine radikale Dekonstruktion des Imperiums unter Einbezug metropolitaner wie peripherer, imperialer wie indigener Konstellationen und Akteure. Imperien sind nach diesem Verständnis nichts weiter als dynamische Herrschaftsbeziehungen, die über integrative Angebote und Zugehörigkeitskonstruktionen permanent verhandelt werden. Die entscheidenden Prozesse allerdings finden an der Peripherie statt: Die gesellschaftliche Dynamik, die politischen Machtverhältnisse, aber auch die kulturellen und identitären Selbstbilder vor Ort bestimmen letztlich den Grad der Bindung peripherer Gesellschaften an das Imperium; mit ihnen steht und fällt der imperiale Zusammenhalt.

Die Position der Akteure oder Gruppen, die die Verbindung zum Imperium darstellen, ist dabei sehr volatil. Soziale oder politische Wandlungsprozesse können alternative Eliten hervorbringen, die durch ihren Repräsentationsanspruch das imperiale Machtgefüge in Frage stellen – allerdings nicht immer gleich fundamental. Hier liegt im Kern das Erkenntnisinteresse des Projekts: Es untersucht gesellschaftliche Aushandlungsprozesse in imperialen Krisensituationen, wo sie verschärft auftreten und von besonderer Relevanz sind, und versucht dadurch Aufschlüsse über die Funktionsweise von Imperien an sich, insbesondere über ihre Krisenstabilität und Wandlungsfähigkeit, zu gewinnen.

Ein Schlüssel sind dabei diejenigen gesellschaftlichen Gruppen bzw. Eliten, die eine Veränderung der imperialen Machtbeziehungen anstreben, dabei aber die Zugehörigkeit zum Imperium nicht grundlegend in Frage stellen. Diese "kritischen Kollaborateure" haben in der postkolonialen Nationalgeschichte meist im Schatten der Helden der Unabhängigkeitsbewegungen gestanden. Im besten Falle gelten sie als schwache Kompromissler, im schlimmsten als Verräter an der nationalen Sache. Dabei sind gerade ihre Ziele und Interessen für die Funktionsweise des Imperiums besonders aufschlussreich, weil sie über Motive sowohl für die Aufrechterhaltung der imperialen Kohäsion als auch für ihre Reform im Sinne größerer Partizipation und Integration verfügen und reflektieren. Das Projekt soll gesellschaftliche Aushandlungsprozesse über imperiale Zugehörigkeit, mit besonderem Augenmerk auf die zentrale Rolle der "kritischen Kollaborateure", anhand von drei fundamentalen Krisenphasen des britischen Empires vom späten 18. bis zum mittleren 20. Jahrhundert untersuchen.

(Stand September 2014)