Traditionen des Antitotalitären im Kulturvergleich

Projektionsfläche Bosnien: ein deutsch-französischer Intellektuellenstreit

(Stand Dezember 1997)

Deutsche und französische Intellektuelle haben den Krieg in Bosnien und seine Ursprünge sehr verschieden rezipiert. Ihre Analysen und Deutungsversuche verweisen auf unterschiedliche Denk- und Interpretationsfiguren im linksliberalen Milieu beider Länder. An den Themenfeldern Linke und Demokratie, Antifaschismus – Antistalinismus, Pazifismus . Bellizismus wird dies besonders deutlich. Die Entwicklungen und Veränderungen des Debatten angesichts des Zusammenbruchs des Kommunismus in Ostmitteleuropa werden mit der Diskussion um den Krieg in Bosnien in Beziehung gesetzt. Untersucht wird – insbesondere im Hinblick auf die Auseinandersetzung mit den Totalitarismen diese Jahrhundert – die Wechselwirkung zwischen Theoriebildung, der Rezeption politischer Ereignisse und der spezifischen Örtlichkeit des Diskurses als Denkraum, im dem Intellektuelle intervenieren.

Entlang einschneidender politischer Ereignisse (Ausgangspunkt ist der Krieg im ehemaligen Jugoslawien, 1989, gefolgt vom polnischen Sommer 1980/81, der Solschenizyn-Debatte 1974, Prag 1968, Ungarn 1956) werden in dem Projekt die Interventionsstrategien deutscher und französischer Intellektueller seit den fünfziger Jahren rekonstruiert. Nach zweijähriger Recherche gerät nicht zuletzt der Kongreß für die Freiheit der Kultur 1950 in Berlin, auf dem sich die antitotalitär gesonnene europäische Intelligenz traf, zum Kristallationspunkt. Die Zeitschriften "Der Monat" und "Preuves" nahmen hier ihren Ausgang und sind deshalb Gegenstand der Analyse. Die Geschichte dieser Zeitschriften und die exemplarischen Biographien ihrer Autoren spiegeln auf bemerkenswerte Weise Traditionslinien und –brüche antitotalitären Denkens wieder. Elemente dieser Denkfiguren bestimmen bis zum heutigen Tag den Blick auf (Ost-)Europa. Zu den empirischen Grundlagen des Projekts zählen u. a. ausführliche biographische Gespräche mit den intellektuellen Akteuren, die darin ihre Denkbewegungen und politisch-theoretischen Interventionen nachzeichnen. Es geht nicht zuletzt um die Projektionsmechanismen im deutsch-französischen Verhältnis und die daraus resultierenden nationalen, postnationalen und europäischen Orientierungen der Intellektuellen und ihre differenten Interventionsstrategien im öffentlichen politischen Raum.

Das Projekt wurde am Hamburger Institut für Sozialforschung nicht beendet und wird extern abgeschlossen.