Bürgertum in der Bundesrepublik Deutschland
(Stand Juli 2003)
Das Projekt fragt nach dem Weiterbestehen des Bürgertums nach 1945. Es hat sich – so die These – nach 1945 teils neu, teils auf tradierten Einstellungen und Werten basierend wieder formiert. Darin wurde innerhalb traditioneller und sich neu bildender Gruppen ausdrücklich oder vermittelt die Idee exklusiver Bürgerlichkeit vertreten. Der aufscheinende Formwandel des Bürgertums wird vor diesem Hintergrund als mehr oder weniger gelungener Prozeß der Anpassung an einen veränderten gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bedingungskontext interpretiert.
Diesem Forschungsansatz widmet sich zum einen ein Sammelband, der in Kooperation mit Prof. Dr. Manfred Hettling (Universität Halle an der Saale) entsteht, in dem fünf Problembereiche werden untersucht: "Bürgerlichkeit" als Leitbild; Soziale Schichtungen und Berufsstrukturen; Institutionen und Netzwerke; Lebensläufe und Sozialisationen sowie Gegenentwürfe zur "bürgerlichen Gesellschaft".
Während dieses Vorhaben einen großflächigen Zugriff auf das Thema "Bürgertum der Bundesrepublik" erlaubt, konzentriert sich das Einzelprojekt empirisch auf die "Freie Hansestadt Bremen". Der begrenzte urbane Raum ermöglicht den empirischen Zugriff auf eine begrenzte soziale Realität. In ihr können – über die Entdeckung und Analyse (zunächst) weiter wirkender Vergesellschaftungsformen des städtischen Bürgertums im Nachkrieg hinaus – die anhaltenden Kontinuitäten, aber auch Diskontinuitäten dieser gesellschaftlichen Formation sichtbar gemacht werden. Sicherlich haben sich etwa im Bereich des Stadtbürgertums alle, an bestimmte Bildungshintergründe- und Ansprüche gebundenen, mit wirtschaftlicher Selbständigkeit verkoppelten Lebenspraktiken spätestens im Laufe der Zwischenkriegsentwicklung nivelliert oder gar einen Gestaltwandel mit teils harten Brüchen durchgemacht. Kurz, auch das städtische »Patriziat« hat gewiß als politisch privilegierte und herrschende sowie als wirtschaftlich führende Oberschicht an Macht und Einfluß verloren. Das ändert aber nichts daran, daß sie ihr tradiertes materielles und immaterielles »Kapital« in Form von Herkommen, Habitus, Bildung, Geselligkeitsformen und Selbstorganisationen (in Clubs und Vereinen) auch weiterhin zur Geltung brachten.
Eine wichtige Quellengrundlage für diese Untersuchung über die Fortexistenz Bremer Stadtbürgertums bzw. die Modi der Reintegration seiner aus dem Kriege heimgekehrten männlichen Angehörigen bilden 20, zumeist rund 90-minütige Interviews mit Männern und Frauen der Jahrgänge 1910-1930 des Bremer Bürgertums.
Es ist vor allem das dabei offenbar werdende Mischungsverhältnis von Kontinuität und Bruch in der Nachkriegsentwicklung des Bürgertums, das dieses Projekt innerhalb des Arbeitsbereiches Bundesrepublik mit dem gleichfalls historischen Projekt Klaus Naumanns über die »Sicherheitseliten« verbindet. In beiden Fällen ist die ursprüngliche Verstrickung der frühen Protagonisten in das NS-System ebenso unverkennbar wie ihr maßgeblicher Anteil an der Etablierung einer westlich orientierten, demokratischen Gesellschaft.
Das Projekt wurde von Juli 2001 bis Juni 2003 im Hamburger Institut für Sozialforschung bearbeitet und extern fortgeführt.