Konstellation ohne Sterne

Zur poetischen und geschichtlichen Zäsur bei Martin Heidegger und Paul Celan

(Stand März 2002)

Paul Celan hat sich sein Leben lang intensiv mit den Schriften Martin Heideggers befaßt, obwohl er von dessen Engagement für den Nationalsozialismus wußte. In der Vita des deutschsprachigen jüdischen Dichters, dessen ganzes Werk im Zeichen der Erfahrung des Holocaust steht, ist dies ein einmaliger Vorgang.

Am Leitfaden der Zäsur untersucht die Dissertation die Bedingungen, Formen und Grenzen dieser Auseinandersetzung, deren schmerzliches Paradox darin liegt, daß die Verbindung von Sprache und Zeitlichkeit in Heideggers Denken, Celan Wege zu einer Dichtung nach Auschwitz eröffnet hat, obwohl der Philosoph selbst sich einem Nachdenken über die Massenvernichtung der europäischen Juden immer verweigert hat. Zur Analyse dieses Paradox geht die Arbeit zunächst den Weg über Hölderlins Zäsurbegriff, der den gemeinsamen Bezugspunkt für Heideggers und Celans Poetik bildet und gleichzeitig den theoretischen Rahmen der Untersuchung bestimmt. Die späte Tragödientheorie versteht unter Zäsur sowohl ein poetisches Moment der Unterbrechung der Sprache als auch ein geschichtliches Moment der Lücke im Kontinuum des historischen Zeitverlaufs. Während die sprachliche Dimension Heideggers »Poetik des Zwischens« ebenso bestimmt wie Celans Poetik der Atemwende, markiert die geschichtliche Dimension das Trennungsmoment beider Diskurse. Sah Heidegger in Hölderlins Dichtung noch eine mögliche Antwort auf die »dürftige Zeit« der Moderne, von der er sich eine neue geschichtliche Öffnung versprach, so stellt sich die Frage nach künftiger Sinnstiftung für Celan angesichts der Zäsur der Shoah völlig anders dar. In Heideggers Poetik vermag der Rückbezug auf die Vergangenheit im »andenkenden Dichten« ein Zukunftsmoment für die heutige Zeit auszulösen. Bei Celan wird schon die Frage nach der Erinnerung selbst zum Problem. Wie ist Erinnerung an ein Ereignis möglich, das sich der Eingliederung in sinnvolle Deutungsmuster, und damit der Voraussetzung für einen identitätsbildenden Geschichtsprozeß, dauerhaft widersetzt? Und wie soll angesichts dieser Nichtintegrierbarkeit dennoch ein andenkender Bezug zu den Toten gewahrt und ihrer in der Darstellung gedacht werden? Celan antwortet auf diese Fragen mit einer Poetik, die das Konzept der Zäsur als momenthafte Unterbrechung der Rede, wie es bei Hölderlin und Heidegger vorgeformt ist, weiterentwickelt. Erst in der Unterbrechung der Narration gelingt die Bezugnahme auf das Vergangene, ohne es im Sprechen in Sinn zu überführen. In Heideggers Konzept des 'andenkenden Dichtens' geht es um eine Sprache, die die instrumentelle Vernunft zu erschüttern trachtet, und über die dichterische Sprache eine neue Zeiterfahrung öffnet. Für Celan geht es um ein 'eingedenkendes Dichten', das im Gedicht stattfindet, aber nicht von der Sprache selbst thematisiert wird. Trotz der fundamentalen Differenzen greift Celan mit dieser Figur Heideggers Verknüpfung von Sprache und Zeitlichkeit auf, verschiebt sie jedoch von der Frage nach zukünftiger Öffnung auf die Frage nach den sprachlichen Darstellungsmöglichkeiten der Erinnerung an ein nichtfixierbares, sich jeder Sinnzuschreibung entziehendes Ereignis.