Ein neuer Hauptstadtjournalismus
(Stand Juni 2000)
Das Projekt befaßt sich mit den Netzwerken politisch-journalistischer Akteure in Berlin zu Zeiten des Regierungsumzugs. Analysiert werden sollen die Machtkonstellationen von Politik und Medien in den Umzugsjahren hinsichtlich struktureller Veränderungen sowie narrativer Programme. Wird sich die Art des Journalismus, die in Bonner Hauptstadtzeiten oftmals als »schläfrig« und »eng« wahrgenommen wurde, die Privates nicht erzählte, gleichzeitig Parteinähe nicht scheute, mit dem Umzug verändern? Wird in Berlin ein metropoler Hauptstadtjournalismus entstehen, wie beispielsweise in Paris oder London, der die entstehende Berliner Republik investigativ durchleuchtet, meinungsbildend ist, aber auch bewegende Geschichten der großen Stadt erzählen kann? Werden die informellen Netzwerke und eingespielten Informationskreise auch in Berlin zusammenfinden? Wie werden diese dann aussehen?
Als Grundlage der Untersuchung dient die ethnographische Feldarbeit als participant observer. Zur Skizzierung des Feldes sowie der sich wandelnden Praktiken wurden Journalisten und Politiker u.a. bei Pressekonferenzen, offiziellen Anlässen, wie Richtfesten, Einzügen, Staatsbesuchen, und beim informellen Austausch und Informationsbeschaffung teilnehmend beobachtet und interviewt. Ferner wurden Interviews mit strategischen Medienakteuren, also mit Chefredakteuren, Redaktionsleitern, Verlagsleitern und Geschäftsführern, durchgeführt, um Einblicke in Strategien und Wunschvorstellungen, aber auch Kooperations- und Konkurrenzkonstellationen zu erhalten. Die Feldarbeit wurde durch eine systematische Medienanalyse ergänzt. Zum einen wurden die wirtschaftlichen Entwicklungen auf dem Berliner Medienmarkt beobachtet. Zum anderen wurden über den gesamten Untersuchungszeitraum hinweg in den deutschen Printmedien (u.a. Frankfurter Allgemeine Zeitung, Süddeutsche Zeitung, die tageszeitung, Der Tagesspiegel, Berliner Zeitung, Die Welt, Frankfurter Rundschau) insbesondere diejenigen Berichte und Kommentare verfolgt, die sich mit dem Ereignis »Regierungsumzug« und dem »werdenden Berlin« beschäftigten. Bei bestimmten Ereignissen, wie der Bundestagswahl 1998 oder der Parlamentseröffnung im Reichstag, wurde die Untersuchung auf die internationale Presse erweitert.
Erste Forschungsergebnisse weisen auf systematische Veränderungen im Verhältnis von Journalisten und Politikern hin: Die ehemals eingespielten Bonner Beziehungswelten sehen sich in Berlin ganz neuen Konkurrenz- und Arbeitssituationen ausgesetzt, in denen alte Regeln, durchaus auch bewußt, gebrochen werden und neue gerade erst im entstehen sind. Gleichzeitig scheint eine Hochphase der strategisch-gesteuerten Positionierungsversuche der einzelnen Medien innerhalb des Feldes abgeschlossen. Ausblickend gilt es nun, die jeweiligen Beteiligungsmodelle der Zeitungen an der Gestaltung der Berliner Republik über den Untersuchungszeitraum hinweg herauszuarbeiten.
Diese Arbeit ist Teil eines größeren Projektverbundes (siehe z.B. John Borneman, Heinz Bude; Gründung durch Umzug, in Mittelweg 36, 6/98), der den Regierungsumzug von Bonn nach Berlin begleitet und diesen als Gründungsakt einer Berliner Republik versteht. Sie wurde in der Zeit von Februar 1998 bis Januar 2000 vom Hamburger Institut für Sozialforschung mit einem Promotionsstipendium unterstützt und wird nun mit einem Paul F. Lazarsfeld-Stipendium an der Columbia University, New York, NY, zu Ende geführt.