Wahrnehmung und Bearbeitung von sozialer Exklusion
(Stand September 2002)
Der Begriff "Exklusion" signalisiert in der soziologischen Forschung einen Stilwechsel in der Wahrnehmung und Bearbeitung sozialer Ungleichheiten und prekärer Lebensverhältnisse. Während man bisher unter sozialer Ungleichheit weitgehend die Differenz zwischen "oben" und "unten" bzw. zwischen "Reichtum" und "Armut" verstand, widmet sich die Forschung nun stärker der Differenz zwischen "innen" und "außen" bzw. zwischen "zugehörig" und "nichtzugehörig". Es geht um Phänomene der plötzlichen oder schleichenden Ausschließung von Menschen aus sozial relevanten Kommunikationszusammenhängen und Anerkennungssystemen, wie z.B. Arbeit, Karriere, Konsum, Familie oder dem Netzwerk sozialer Absicherung.
Das Projekt verfolgt eine zweifache Zielsetzung: Zum einen geht es um ein tieferes Verständnis des Exklusionsphänomens. Handelt es sich um einen gesellschaftlichen Trend? Werden im Zuge rapiden wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Wandels Exklusionsprozesse immer unausweichlicher? Sind immer mehr Menschen davon betroffen? Wodurch ist ihr Halt in angestammten gesellschaftlichen Milieus bedroht? Gibt es so etwas wie eine Querkategorie von "Freigesetzten", "Aussortierten" und "Überflüssigen", die nicht ohne weiteres der Armutsbevölkerung zuzuordnen sind, wohl aber sich durch die massiven Reorganisationsprozesse in Wirtschaft, Unternehmen und öffentlichen Institutionen existentiell getroffen, bedroht und verwundet fühlen? Zum anderen geht es in dem Projekt um die Identifizierung und Beschreibung unterschiedlicher organisationeller Bearbeitungspraktiken von Exklusion. Wann und nach welchen Kriterien wird die Exklusion von Personen oder sogar ganzen Populationen als problematisch wahrgenommen? Welche organisationellen Praktiken entwickelt die Gesellschaft, um die Folgeprobleme von Exklusionsprozessen aufzufangen?
In dem Projekt wird zwischen drei Kontexten und primär darauf bezogenen organisationellen Formen der Exklusionsbearbeitung unterschieden: erstens Organisationen im staatlichen Kontext (Sozialämter, öffentliche Beratungsstellen), zweitens Organisationen im kommerziellen Kontext (Personalverwaltungen, Outplacementagenturen) sowie drittens Organisationen im Kontext bürgerschaftlichen Engagements (Stiftungen, Vereine). Es steht zu vermuten, daß diese Organisationen sich der Problematik der Exklusion in unterschiedlicher Weise nähern, voraussichtlich kontextspezifische Methoden, Denkweisen und Instrumente anwenden und ihre Praktiken nach jeweils eigenen Erfolgskriterien bewerten. Es soll empirisch untersucht werden, durch welche "Beratungsphilosophien" solche organisatorischen Praktiken getragen sind. Welche Vorstellung hat der Berater über die Veränderung der von Exklusion bedrohten Person? Geht er von der Vorstellung eines zu betreuenden und zu kontrollierenden "Sozialklienten" aus? Oder haben wir es eher mit der Vorstellung eines prinzipiell aktivierbaren und disponiblen Selbst zu tun, in der die Verantwortung des Einzelnen für sich selbst und für sein Lebensschicksal betont und somit ein quasi unternehmerisches Lebensführungsideal propagiert wird (z.B. unter Schlagworten wie "Selbstmanagement", "Employability" oder "Empowerment")? Mit der Untersuchung solcher Vorstellungen soll sichtbar gemacht werden, welche Bedingungen und Grenzen der Re-Inklusion von exkludierten Personen gesellschaftlich gesetzt sind – und wie diese Bedingungen und Grenzen möglicherweise wieder aufgebrochen werden können.
Methodisch verfährt die Untersuchung nach dem Konzept der vergleichenden Fallstudie. In ausgewählten Organisationen werden Interviews mit Beratern bzw. Projektverantwortlichen und mit Klienten durchgeführt. Auf dieser Grundlage können die typischen Merkmale staatlicher, kommerzieller sowie bürgerschaftlicher Praktiken der Exklusionswahrnehmung und -bearbeitung beschrieben und verglichen werden.
Das Projekt wurde im September 2002 am Hamburger Institut abgeschlossen und wurde extern fortgeführt.