Arbeit mit der Gesundheit
Das Gesundheitssystem der Bundesrepublik Deutschland befindet sich in einem tiefgreifenden Wandel. Ökonomische Kriterien werden zu einem zentralen Faktor in der gesundheitlichen Versorgung. Im Krankenhaussektor bewirken neben anderen gesetzlichen Neuerungen vor allem die 2004 eingeführten Fallpauschalen (G-DRGs) enorme Veränderungen in der Arbeitssituation der Beschäftigten.
Das Dissertationsprojekt fragt nach den Folgen dieser Neustrukturierungen für die Akteure im Krankenhaussektor. Hierzu wurden auf verschiedenen Ebenen in der Krankenhaushierarchie qualitative, problemzentrierte Interviews geführt. Das Sample umfasst insgesamt 21 Interviews. 7 davon sind der Ebene des Krankenhausmanagements zuzuordnen, hier wurden u.a. Pflegeleitungen, Kaufmännische Leitungen und Mitarbeiter des strategischen Managements interviewt. 14 Interviews wurden mit Pflegekräften geführt, die in der direkten Patientenversorgung tätig sind. Diese pluriperspektivische Herangehensweise ermöglicht ein Eingehen auf die hierarchischen Strukturen. Um ein möglichst umfassendes Bild zu bekommen, wurden die Interviews in Krankenhäusern unterschiedlicher Trägerschaften geführt. Neben Kliniken in privater Trägerschaft befinden sich auch öffentliche und freigemeinnützige Kliniken im Sample. Die Studie ist explorativ angelegt und möchte explizit die subjektive Sichtweise derjenigen Akteure erfassen, die von den strukturellen Veränderungen im Krankenhaussektor direkt betroffen sind.
Im Mittelpunkt des Forschungsinteresses stehen die Auswirkungen der gesetzlichen Neuerungen auf das Pflegepersonal. Unter anderem sollten die Interviews darüber Aufschluss geben, welchen Einfluss die Einführung der neuen ökonomischen Kriterien auf die Pflegearbeit hat und ob sie zu einem Wandel im pflegerischen Selbstverständnis führt. Die Managementebene spielt bei diesen Umgestaltungen eine zentrale Rolle. Nach Simon (2001) sind Managementkonzeptionen und Werthaltungen der Führungskräfte ein entscheidender Faktor dafür, wie externe Entwicklungen in krankenhausinterne Veränderungsprozesse übersetzt werden. Wie das Management die externen Veränderungen in die interne Arbeitsumwelt des Krankenhauses umsetzt und welche Folgen sich hieraus für die Pflegearbeit ergeben, kann in einem Vergleich der beiden Befragungsebenen herausgearbeitet werden.
Erste Ergebnisse zeigen, dass die vermehrte Steuerung der Krankenhäuser nach betriebswirtschaftlichen Kriterien im Bereich der Pflege zu einer Verdichtung der Arbeit und einer Beschleunigung verschiedener Prozesse führt, sowohl auf Seiten der Pflegekräfte als auch auf Seiten des Managements.
Für einen Großteil der Pflegekräfte ergeben sich durch die neuen Pflegerichtlinien Spannungen. Die neu eingeführten ökonomischen Prinzipien werden als belastend wahrgenommen, und setzen die Pflegekräfte unter Druck, da sie sich häufig nicht mit ihrem beruflichen Ethos in Einklang bringen lassen. Für das befragte Pflegepersonal steht die Versorgung der Patienten im Vordergrund. Die ganzheitliche Ausrichtung auf den individuellen Patienten, die in den Interviews dominiert, steht im Gegensatz zu der schon strukturell in den Fallpauschalen angelegten Funktionalisierung von verschiedenen Prozessen rund um die Patientenversorgung. Die empirischen Ergebnisse lassen die Schlussfolgerung zu, dass das Pflegepersonal die strukturellen Verschlechterungen durch individuelles (und nur zu Teilen vergütetes) Handeln nach seinen pflegeethischen Prinzipien ausgleicht.
Die Interviews mit dem Management lassen erkennen, dass es in hohem Maße den ökonomi-schen Vorgaben folgt. Die Befragten schildern eine Zunahme von betriebswirtschaftlichen Tätigkeiten innerhalb des Aufgabenspektrums leitender Pflegekräfte, hierarchische Umgestaltungen und eine strategische Neuausrichtung der Krankenhäuser auf die durch politische Vorgaben initiierte Wettbewerbssituation. Die ökonomisch induzierten Umstrukturierungen werden von den meisten Interviewten entweder nicht in Frage gestellt oder positiv bewertet.
Die Befunde zeigen eine Konfliktlinie zwischen pflegerischen Handlungslogiken und den auf der Managementebene vorherrschenden ökonomischen Logiken. Die befragten Akteure im Gesundheitswesen haben demnach die Ökonomisierung in unterschiedlichem Maß angenommen. Die betriebswirtschaftliche Ausrichtung bestimmt die normative Zielrichtung vieler Krankenhäuser, wird aber von vielen Akteuren in der direkten Patientenversorgung mit Bezug auf ihr spezifisches Berufsethos abgelehnt.
(Stand August 2012)