Die Ahndung fernen Unrechts

Ein zivilisatorischer Versuch
Projektstart: März 2016

Seit dem Krieg im früheren Jugoslawien und vor allem seit Inkrafttreten des Völkerstrafgesetzbuchs in Deutschland - einen Tag bevor am 1. Juli 2002 der Internationale Strafgerichtshof seine Arbeit aufnahm - gibt es auch hierzulande Verfahren wegen Völkerrechtsverbrechen. Damit folgt Deutschland dem Beispiel Belgiens und Spaniens und ist seinerseits wieder Vorbild für andere europäische Staaten.

Das diesem Prinzip zugrundeliegende Verfahren ist das Weltrechtsprinzip. Über seine Entstehung, Inhalt und Reichweite ist bereits vieles geschrieben worden. Sich unter bekannter Fragestellung erneut damit zu beschäftigen, erscheint daher wenig reizvoll. Anders aber wäre es, wenn der Schwerpunkt der Analyse nicht auf prozeduralen oder rechtsdogmatischen Aspekten läge, sondern die Frage nach der Rechtsfindung im Zentrum stünde: Wie bildet sich das tatferne Gericht ein Bild vom Geschehen, was fließt in die justizielle Bewertung des Unrechts ein und welches sind die Erwartungen, die an das Urteil geknüpft werden?

Ein weiterer Themenkomplex würde sich mit der Rezeption der Urteile an den Tatorten und in den tatnahen Regionen beschäftigten. Haben die Betroffenen den Eindruck, dass fernab von ihrer Lebensrealität Recht gesprochen wurde, das ihnen nützt, z.B. über die Anerkennung des Leids hinaus durch materielle Hilfen? Welche Auswirkungen haben die Tätigkeiten tatferner Gerichte auf die Justiz und die Politik des Tatortlandes? Gibt es dort vielleicht schon Versuche, in eigener Anwendung des Weltrechtsprinzips tätig zu werden, beispielsweise gegen französische Staatsbürger  wegen ihrer möglichen Beteiligung am ruandischen Völkermord?

Mit dem Projekt wird das Ziel verfolgt, Antworten auf diese sozusagen aus doppelter Perspektive gestellten Fragen zu finden. Geografisch ist eine Konzentration auf die Weltregionen vorgesehen, die bisher im Zentrum des hier so genannten "zivilisatorischen Versuchs" stehen und einiges spricht dafür, dass sie auch weiterhin dort stehen werden: Afrika und Europa. Verbrechen, die in Côte d’Ivoire, Uganda, Ruanda, Zentralafrika und in der Demokratischen Republik Kongo begangen wurden, sind und waren Verhandlungsgegenstand vor europäischen Gerichten, darunter mit den Oberlandesgerichten Düsseldorf, Frankfurt am Main und Stuttgart auch vor deutschen Gerichten. Die ergangenen Urteile geben Auskunft 1) über das Verständnis des Gerichts über den zugrunde liegenden kriegerischen Konflikt, 2) über die Bewertung von Beweismitteln, in der Regel Zeugenaussagen und 3) über die Zumessung individueller (völker-)strafrechtlicher Verantwortlichkeit.

In Deutschland sollen Gespräche mit den diversen Akteuren (z.B. Vertreterinnen und Vertreter der Bundesanwaltschaft, Richterinnen und Richter der Oberlandesgerichte), dieser Verfahren  geführt und den Aussagen Betroffener in den Tatortländern gegenübergestellt werden. Die Darstellung der Übereinstimmungen und Unterschiede ergibt– so die These – das Bild einer zusammenwachsenden Welt, d. h. einer Welt, in der fortbestehende Differenzen nicht mehr die Kraft haben, das gesamte Unternehmen zum Scheitern zu bringen.

Ein ergänzender Blick auf die Judikatur anderer europäischer Gerichte und des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) in Den Haag befasst sich mit der Frage, inwiefern es ein zwischen nationalen und internationalen Strafinstanzen koordiniertes Vorgehen gibt. Die These ist, dass ein solches Vorgehen bislang nur in Ansätzen existiert. Die Erwartungen an nationale Gerichte, die zumeist von der jeweiligen nationalen Öffentlichkeit formuliert werden, scheinen anderer Art zu sein als die Erwartungen, die die internationale Gemeinschaft an den IStGH richtet.