Die WissenschaftlerInnen des Hamburger Instituts für Sozialforschung haben den Siegfried-Landshut-Preis dem britischen Soziologen Mike Savage zugesprochen
Ausschlaggebend für die Entscheidung war die Tatsache, dass der an der LSE lehrende und forschende Mike Savage nun schon seit mehr als drei Jahrzehnten nicht nur die britische, sondern auch die internationale Debatte um soziale Klassen und soziale Ungleichheit mit innovativen Beiträgen geprägt hat und diese es allemal wert sind, stärker als bislang auch in der bundesdeutschen Diskussionslandschaft wahrgenommen zu werden. Kennzeichnend für den analytischen Zugriff von Savage war und ist, erstens, immer die Einbettung seiner gegenwartsbezogenen Arbeiten in größere historische Kontexte, so dass sich diese auch im Sinne einer Historischen Soziologie der Formierung von Klassen lesen lassen. Savage hat seit Beginn der 1990er Jahren vehement für eine Wiederbelebung des Klassenbegriffs plädiert, wobei er freilich nicht in alte marxistische Fahrwasser geraten, sondern gerade zeigen wollte, wie sehr heutzutage Klassenbildung von bürokratischen Eingriffen und kulturellen Dispositionen geprägt ist, was unter anderem auch erklärt, warum etwa die Mittelklassen in Großbritannien zwar gut erkennbar, aber in sich doch auch einigermaßen fragmentiert sind (vgl. etwa Savage u.a., Property, Bureaucracy and Culture. Middle-class Formation in Contemporary Britain, 1992).
Zweitens ist zu betonen, dass Savage so stark wie wenige andere die räumliche Dimension sozialer Ungleichheit betont. Es ist dann auch kein Zufall, dass im Oeuvre von Savage Beiträge zur Stadtsoziologie immer auch eine zentrale Rolle gespielt haben, dass bei ihm – im Unterschied etwa zur deutschen Diskussion über soziale Ungleichheit – Fragen des Wohnungsmarktes und der regionalen Disparitäten und Mobilitäten ganz oben auf der Forschungsagenda stehen (vgl. Savage u.a., Urban Sociology. Capitalism and Modernity, 2003).
Hervorzuheben ist, drittens, auch, dass Savage stets die intensive Auseinandersetzung mit in der Soziologie üblichen Forschungsmethoden gesucht und sich zum Teil sehr kritisch, aber auch immer konstruktiv zur Angemessenheit/Unangemessenheit bestimmter methodischer Zugangsweisen zum Gegenstand des Sozialen geäußert hat (siehe den Aufsatz von Savage/Burrows, The Coming Crisis of Empirical Sociology, 2007).
Schließlich ist, viertens, zu betonen, dass Savage von Anfang an eine große Sensibilität hinsichtlich der historischen und kulturellen Prägung soziologischer Begrifflichkeiten an den Tag gelegt hat, so dass sich seine Arbeiten immer auch als Beiträge zur Wissenschaftsgeschichte, nicht zuletzt zur Geschichte der Ungleichheitsforschung, lesen lassen (Savage, Identities and Social Change in Britain since 1940: The Politics of Method, 2010).
Die enorme Breite des Werkes von Savage, sein innovativer interdisziplinärer Zugriff, die Reflektiertheit seiner Forschungsmethoden und auch die Fähigkeit, seine Forschungsergebnisse einer größeren Öffentlichkeit zugänglich zu machen, haben die WissenschaftlerInnen am HIS dazu bewogen, ihm den Siegfried-Landshut-Preis 2022 zuzusprechen.
Dr. Carsten Brosda, Senator für Kultur und Medien Hamburg: „Dass Menschen aufgrund ihrer sozialen Herkunft diskriminiert und vom kulturellen Leben ausgeschlossen werden, ist leider nach wie vor Realität. Mit Mike Savage wird ein Soziologe und bahnbrechender Denker geehrt, der besonders die kulturelle Dimension von sozialer Ungleichheit in den Blick nimmt. Er beschäftigt sich bereits seit Jahrzehnten mit Gentrifizierung und sozialer Mobilität, Themen also, über die die in den letzten Jahren zunehmend auch in Hamburg gesprochen wird. Sein interdisziplinärer Ansatz hat es daher verdient in Deutschland bekannter zu werden. Ich gratuliere herzlich zum Siegfried Landshut Preis!“
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Preisverleihung und Vortrag: Donnerstag, 22. Juni 2023 — 19 Uhr
Mike Savage – What are the challenges of inequality in the 21st century?
Grußwort Carsten Brosda, Hamburger Senat
Laudatio Monika Krause, London School of Economics and Political Science
Landshut Lecture Dienstag, 27. Juni 2023 — 19 Uhr
Mike Savage – Analysing elite diaspora: the case of UK ›non-domiciled‹ tax payers
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