Der blinde Spiegel - Deutschland im afghanischen Transformationskrieg

Der Afghanistaneinsatz, an dem sich die Bundesrepublik mit militärischen wie zivilen Mitteln beteiligt, ist der aktuelle Musterfall für die vielschichtige Strukturproblematik der deutschen Außen-, Verteidigungs- und Sicherheitspolitik im Übergang von der alten zur neuen Bundesrepublik. Die Studie widmet sich den Rückwirkungen des Einsatzes auf die genannten Politikbereiche

Eine zivil-militärisch gemischte Mission, die mittels Stabilisierung, Statebuilding und Entwicklung auf Veränderung in der Einsatzregion zielt, löst auch im Entsendestaat beträchtlichen Transformationsdruck auf das etablierte Politikrepertoire aus. Im Zentrum der Untersuchung steht der Paradigmenwechsel von "Verteidigung" zu "Sicherheit", der durch den Afghanistaneinsatz nicht ausgelöst, aber beschleunigt wird. Er  führt zu Erschütterungen in der normativen Grammatik des Politischen, zu Veränderungen in der institutionellen Architektur der Politik und zur Handlungsdilemmata innerhalb und zwischen den Akteursgruppen und Organisationskulturen. Normen, Begründungen, Prozeduren und Handlungsmuster geraten in den Sog neuer Problemkonstellationen.

Die Schwäche der normativen Grammatik der Entsende und Einsatzpolitik wird diskutiert an den Auswirkungen des sogennanten "erweiterten" Sicherheitskonzepts, am Konflikt existenzieller und instrumenteller Logiken der "wars of choice" sowie an den Strukturdilemmata externer Statebuildingprozesse. Die dabei auftretenden Spannungen in der sicherheitspolitischen Architektur und im militärischen Organisationsgefüge werden detailliert analysiert anhand der "vernetzten" Strukturen der politisch-militärisch-zivilen Einsatzsteuerung sowie einer Reihe von Fallstudien über Aspekte der militärischen Einsatzführung. Am Beispiel der Handlungsdilemmata der Aufstandsbekämpfung, der Kooperationsprobleme der "Provincial Reconstruction Teams" (PRTs) und der Problematik einer militärischen Beteiligung an der Aufstellung der afghanischen Polizeikräfte lässt sich nachweisen, wie der Transfer zwischen Politik und Taktik, also zwischen politischen Vorgaben und militärischem Vollzug stockt und welche unintendierte Folgen dabei auftreten.

Erste Befunde lassen Aussagen im Hinblick auf die Balanceordnung zwischen Politik und Militär zu, und gewähren damit Einblicke in die künftigen Probleme innerstaatlicher Gewaltmonopolisierung. Beobachten lassen sich strukturelle Schieflagen zwischen Exekutive und Legislative, zwischen politischen Steuerung und militärischer Führung und zwischen Staatsbürgerlichkeit und soldatischer Professionalität. Auf diesen drei Strukturrelationen beruhte die Stabilität der zivil-militärischen Beziehungen der Bonner Republik. Die Analyse dieser drei herausgehobenen Punkte führt nun zu der Folgerung, dass Rationalitätskriterien, Leitideen und Geltungsansprüche überkommener "Institutionen" des sicherheitspolitischen wie des militärischen Handelns sich in einer Transformationskrise befinden, deren Ende offen ist.

(Stand August 2012)