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Praktiken, Aushandlungen und Fantasien des Recht

Im April 2019 haben das HIS und der Lehrstuhl für Rechtssoziologie der Universität Bern (Prof. Tobias Eule) eine Kooperation zur Gründung einer Forschungsgruppe Rechtssoziologie am HIS beschlossen. Die Forschungsgruppe bietet seitdem einen Raum, in dem Praktiken und Ideen von Recht kritisch analysiert werden, um komplexe soziale Phänomene zu beleuchten. Recht soll damit nicht um seiner selbst willen untersucht werden, sondern als Linse gesehen werden, um soziologische, also gesellschaftsanalytische, zeitdiagnostische Fragen zu beantworten sowie historische Genese zu vollziehen. Eine „soziologische Ausrichtung“ ist hier also in Absetzung von einer rechtsdogmatischen Ausrichtung zu verstehen, ist jedoch explizit auch für historische, anthropologische, ökonomische oder juristische Ansätze offen, solange sie ähnliche erkenntnistheoretische Ziele verfolgen. Gerade als „soziologische“ Rechtssoziologie mit einem expliziten sozialtheoretischen Fokus benötigt die Forschungsgruppe ein solides empirisches Fundament. Empirie sollte dabei weder zur bloßen Illustrierung bestimmter soziologischer Theorien verwendet, noch als theoriebefreite Lieferung von Daten missverstanden werden. Stattdessen muss empirische Rechtssoziologie die Anwendbarkeit von Erklärungsansätzen kritisch unterfüttern und theorieproduktiv vorgehen.

Inhaltlich konzentriert sich die Forschungsgruppe besonders auf Praktiken, Aushandlungen und Fantasien über Kontrolle und Kontrollverlust staatlicher Regulierung und Herrschaft. Dabei wird die Produktion von Staat und Staatlichkeit durch das Recht ebenso in den Fokus genommen wie die gesellschaftliche Einbettung von Rechtsprechung und die Produktion von gesellschaftlicher Realität durch Recht als solche. Rechtssoziologische Forschung soll hier zentrale Akteure, Mechanismen und Ideen aufdecken, die sonst unterbeleuchtet wären – wie etwa bereits geschehen in Forschungen zu Aushandlungsprozessen politischer Reformen durch Verwaltungsakteur:innen, zur Professionalisierung und dem professionellen Selbstverständnis von Rechtsproduzent:innen oder zur Rolle von Informalität in der Kontrolle von Migration.

Unter anderem werden durch Mitglieder der Forschungsgruppe gegenwärtig folgende Themenbereiche bearbeitet:

  • Aushandlungsprozesse in asymmetrischen (Rechts-)Räumen, aktuell zu Rechtsmobilisierung und Nichtmobilisierung im Kontext von Wohnungslosigkeit und zu Regulierungsversuchen in der globalen Schifffahrt.
  • Der Einfluss von Verfassungsrecht – insbesondere der Rechte der Natur und auf Buen Vivir – auf staatliche Politik in Ecuador.
  • Die Rolle verlegerischen Handelns für die Entwicklung von Recht und Rechtswissenschaft um 1900. Die Arbeit verknüpft im Rahmen einer Fallstudie zur Verlagsbuchhandlung Otto Liebmann Aspekte der Buchhandels- sowie der Wissenschaftsgeschichte.
  • Rechts- sowie Implementationslücken auf der Grenze zwischen Arbeits- und Migrationsrecht: Vergleichend werden historische und gegenwärtige Aushandlungs- oder Mobilisierungsprozesse von Arbeitsrechten im Bereich der migrantischen Hausarbeit untersucht. Es geht dabei um die Genese von Rechten in einem traditionell unterreguliertem Bereich, darin implizite Vorstellungen über Arbeit und intersektionale Dimensionen der rechtlichen und materiellen Prekarisierung von migrantischen Arbeiter_innen.

Aktueller Sprecher der Forschungsgruppe ist Prof. Dr. Tobias Eule

Mitarbeitende der Forschungsgruppe Rechtssoziologie

Dr. Laura Affolter

Changing Politics Through Law: The Case of Nature’s Rights in Ecuador

Francesca Barp

Aus der Unsichtbarkeit in den Gerichtssaal: Wenn migrantische Hausangestellte Rechte mobilisieren

Clemens Boehncke M.A.

Ideen und Interessen – Otto Liebmann und sein Verlag, 1890-1933

Prof. Dr. Tobias Eule, aktueller Sprecher der Forschungsgruppe