Im Namen des Volkes? Rechte Gewalt und Diskurse einer bedrohten Ordnung in Deutschland zwischen 1970 und 1993
Die nationalsozialistische Vernichtungspolitik und der Zweite Weltkrieg, Flucht und Vertreibung, aber auch Remigration und Repatriierung hinterließen ein Europa aus Nationalstaaten, die ethnisch homogener waren als jemals zuvor. Die Anwerbung ausländischer Arbeitskräfte ab Mitte der 1950er Jahre – als sog. „Gastarbeiter“ auf der einen und als „Vertragsarbeiter“ auf der anderen Seite des Eisernen Vorhangs –machte Deutschland jedoch auf längere Sicht zu einem „Einwanderungsland wider Willen“ (Klaus J. Bade). In beiden deutschen Staaten ging dieser Unwillen ab Mitte der 1970er Jahre mit einer Geschichte rassistischer Gewalt einher, die mit der Wende eine neue Qualität erreichen sollte.
Im Sommer 1992 flogen in Rostock-Lichtenhagen Steine, Flaschen und Brandsätze auf die Räumlichkeiten der Zentralen Erstaufnahmestelle für Asylsuchende und die benachbarte Unterkunft für ehemalige vietnamesische Vertragsarbeiter*innen. In Lichtenhagen versammelten sich zwischenzeitlich mehrere Tausend Menschen und bejubelten die von zahlreichen, aus dem gesamten Bundesgebiet angereisten Akteuren der extremen Rechten koordinierten massiven Gewaltausschreitungen mit Parolen wie „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus!“ oder „Wir kriegen euch alle!“. Als die sich bis dahin ohnehin auf Selbstschutz beschränkenden Polizeikräfte den Befehl zum Rückzug erhielten, wurde eines der Häuser gestürmt und in verschiedenen Räumen Feuer gelegt. Mehr als 120 vietnamesische Bewohner*innen entkamen nur knapp dem Tod; sie retteten sich über das Dach in ein Nachbarhaus. Nachdem der Brand gelöscht werden konnte, wurden die Vietnames*innen in Bussen aus der Stadt eskortiert; die Menge applaudierte, Lichtenhagen war „ausländerfrei“.
Das Pogrom dauerte vier Tage an und wirkte als Fanal; in den anschließenden Wochen folgte bundesweit eine Welle kollektiver rassistischer Angriffe nach ähnlichem Muster.
Das Spektrum politischer Reaktionen auf die Ereignisse in Lichtenhagen offenbarte besonders auf lokaler Ebene zahlreiche Schattierungen einer Rationalisierung der Gewalt. Letztlich konnte sich der militante Rechtsradikalismus in Rostock-Lichtenhagen für einen Teil der Mehrheitsgesellschaft erfolgreich als eine politisch legitime Macht zur Aufrechterhaltung einer als bedroht wahrgenommenen homogenen Ordnung inszenieren. Die dabei im Schulterschluss mit Teilen der Stadtbevölkerung vollzogene Aneignung des staatlichen Gewaltmonopols schien sich in den Augen Vieler angesichts des zuvor mobilisierten Bedrohungsszenarios einer „Asylantenflut“ zu rechtfertigen; die Gewalt wurde dann folglich nicht mehr als solche, sondern als eine Art performativ vollzogenes Referendum im Kontext der Asyldebatte wahrgenommen; nur wenige Wochen nach der Räumung der Unterkünfte in Rostock-Lichtenhagen glaubten mehr als zwei Drittel der Abgeordneten des deutschen Bundestags das Mandat zur tiefgreifenden Einschränkung des Grundrechts auf Asyl zu besitzen. Die damit beschriebene wechselseitige Dynamik von Gewalt, Diskurs und politischem Handeln verdichtete sich im Rahmen der Vorfälle in Rostock-Lichtenhagen auf besonders dramatische Art und Weise – sie scheint mir aber ein wiederkehrendes und bislang zu wenig beachtetes Strukturmerkmal der Wirkungsgeschichte von rechter Gewalt zu sein.
In meinem Promotionsvorhaben möchte ich daher die Geschichte der rechten Gewalt in ihrem Wechselverhältnis mit gesellschaftspolitischen Ordnungsvorstellungen in beiden deutschen Staaten zwischen 1970 und 1989 und im wiedervereinigten Deutschland bis 1993 untersuchen. Dabei folge ich der Annahme, dass rechte Gewalt und Diskurse einer fragilen homogenen Ordnung in spezifischen historischen Konstellationen dazu tendierten, sich wechselseitig zu legitimieren: Einerseits steigerten Szenarien einer bedrohten homogenen Ordnung, wie das einer „Überfremdung“, einer „Umvolkung“ der Gesellschaft, die Plausibilität eines zivilen Rechts auf Widerstand und damit auch die Wahrscheinlichkeit eines medialen wie politischen Framings von rechter Gewalt als Akt der Notwehr. Andererseits erlangten aber auch die Diskurse einer bedrohten Ordnung ihre Legitimität häufig erst durch die Wahrnehmung rechter Gewalt; deren schiere Präsenz konnte die Suggestion eines Ausnahmezustands verstärken, zu dessen Beseitigung politische Maßnahmen gerechtfertigt wurden, die letztlich nicht bei den Tätern, sondern bei den Opfern rechter Gewalt ansetzten. In diesem Bedingungsverhältnis – so meine Hypothese – waren die gesellschaftspolitisch zugeschriebenen Rollen der Täter und Opfer rechter Gewalt keineswegs stabil, sie blieben häufig unscharf und schienen sich teilweise gänzlich zu vertauschen.
Um diesen Verdacht zu prüfen, beleuchte ich einerseits Diskurse einer bedrohten homogenen Ordnung. Anhand von ausländerpolitischen Maßnahmen sowie vermittels parlamentarischer und medialer Debatten über Migration werden dabei dominante Ordnungsvorstellungen einer „homogenen Nation“ herausgearbeitet und die mit ihr verbundenen Bedrohungsszenarien analysiert. Vor dem Hintergrund dieser Diskurse einer bedrohten homogenen Ordnung sollen andererseits lokale Aushandlungsprozesse von rechter Gewalt analysiert werden. Dabei beleuchte ich anhand einzelner Fallstudien jene überregional wahrgenommenen Formen rechter Gewalt, die sich in einem Diskursraum fragiler Ordnungsvorstellungen positionierten und damit als „vigilantistische Gewalt“ beschrieben werden können: Dazu gehören pogromartige Ausschreitungen, Gewalt rechter Bürgerwehren, „spontane“ Ausbrüche rassistischer Gewalt, aber auch Fälle von organisiertem Rechtsterrorismus. Am Beispiel dieser konkreten Gewaltereignisse soll untersucht werden, wie sich die Imaginationen einer bedrohten Ordnung in die medialen und politischen Repräsentationen und Deutungen von Tätern und Opfern rechter Gewalt einschreiben und den staatlichen Umgang mit ihnen konditionieren konnten.