Konjunkturen der Entpolitisierung.

Kriegsbedingte Rekonfigurationen öffentlicher Zahlungsfähigkeit in den Vereinigten Staaten des 20. Jahrhunderts
Forschungsgruppen - Monetäre Souveränität
Projektstart: Mai 2023

In Krisen verliert Geld den Schleier des Selbstverständlichen. Die Finanzkrise, die Corona-Pandemie sowie der Angriffskrieg auf die Ukraine haben das Verhältnis von fiskalischen und monetären Institutionen in Bewegung versetzt. Hatte Geld zuvor als entpolitisierte Verwaltungsangelegenheit unabhängiger Zentralbanken gelten können, kehrte mit den Rettungsmaßnahmen ein vermeintlich überwundener Topos zurück in den politischen Diskurs: die scharfe Trennung von Geld- und Fiskalpolitik und insbesondere die Möglichkeit, Geldschöpfungskapazitäten für die Staatsfinanzierung einzusetzen. Was von einigen als Sündenfall kritisiert wird, begrüßen andere als überfälliges Moment der „Politisierung“ und „Demokratisierung“ der Geldordnung, die gerade im Angesicht gravierender Gestaltungsaufgaben durch Krieg, Ungleichheit oder Klimawandel Hoffnungen auf staatliche Handlungsfreiheiten weckt. Auch wenn diese Hoffnungen auf hoheitliche Problemlösungen stellenweise überzogen sein mögen, werfen sie doch eine für die politische Soziologie wichtige Frage auf: Wieso kommt es überhaupt zur Abschottung monetärer Institution von demokratiepolitischen Prozessen und Einflüssen? Anders gefragt: Warum verzichten Staaten auf geldpolitische Machtinstrumente – obwohl politische und monetäre Souveränität in der Entstehungsgeschichte moderner Staatlichkeit stets eng verflochten waren? In diesem Sinne rückt das Projekt also Prozesse der Entpolitisierung monetärer Verhältnisse in den Mittelpunkt.

Damit ist eine Konstellation skizziert, die sich keinesfalls als originäres, sondern vielmehr als historisch-wiederkehrendes Phänomen bezeichnen lässt. Wer sich mit der Geschichte öffentlicher Zahlungsfähigkeit beschäftigt, wird immer wieder auf Ausweitungen und Rückbauten der Zugriffsmöglichkeiten von demokratischen Regierungen auf monetäre Institutionen stoßen – und auf Konflikte um diese Prozesse. Auffällig ist hier vor allem der Kriegszustand, in dem es gerade im 20. Jahrhundert zu einer enormen Aktivierung von Geldschöpfungskapazitäten kommt. Nachvollziehbar ist dies deshalb, weil Staaten in einem Ausnahmezustand wie dem Krieg all ihre Machtmittel, so auch die monetären, mobilisieren. Gerade weil Kriege die geldpolitischen Gestaltungsmöglichkeit mit einer solchen Wucht offenlegen, gilt es, sie im Hinblick auf die folgenden Entpolitisierungen monetärer Verhältnisse soziologisch genauer zu beleuchten.  Der Krieg scheint eine politische Indienstnahme der sozialen Funktionen von Geld, nämlich die Mobilisierung von Ressourcen und die Koordination von Handlungen, unumgänglich zu machen. Die kriegsbedingte Ausweitung öffentlicher Zahlungsfähigkeit verweist in diesem Sinne auf ein Bewusstsein für das politische Potenzial des Geldes. Genau deswegen aber stellt sich die Frage: Wenn der politische Charakter des Geldes im Krieg offensichtlich geworden ist, wie wird danach der politische Rückzug aus dem Geldsystem eingeleitet, prozessiert und gerechtfertigt? Warum wird die politische Indienstnahme des Geldes nicht auf Dauer gestellt? Mit anderen Worten: Wenn Regierungen Geld im Kriegsfall politisieren, wie vollzieht sich nach dem Krieg die Entpolitisierung der Geldpolitik?

Zur Untersuchung historischer Entpolitisierungen öffentlicher Zahlungsfähigkeit eignen sich die US-amerikanischen Kriege des 20. Jahrhunderts. Um von Entpolitisierung sprechen zu können, muss ein politisierter Zustand vorausgesetzt werden. Nirgends erscheinen nun das Politisierungspotenzial und somit der Erklärungsbedarf entpolitisierten Geldes größer als in den Vereinigten Staaten. Hier konnte bereits um 1900 auf eine Tradition von Debatten öffentlicher Zahlungsfähigkeit zurückgeblickt werden. Ob durch regionale, zweckorientierte Papiergeldemissionen (wie etwa die „Water Works Currency“) im 18. Jahrhundert, aufgrund der Zirkulation von „Greenbacks“ nach dem Bürgerkrieg oder im „Battle of the Standards“ der 1890er Jahre: immer wieder war Geld zum politischen Gegenstand avanciert. Während des 20. Jahrhunderts führten die Vereinigten Staaten dann einerseits relativ kontinuierlich Kriege und nahmen andererseits die dominante Position in der internationalen Geldordnung ein. Die kontinuierliche Kriegsführung und geldpolitische Dominanz der Vereinigten Staaten von Amerika erzwingt geradezu folgende zugespitzte Fragestellung: Wie setzten sich Entpolitisierungen öffentlicher Zahlungsfähigkeit in den Vereinigten Staaten trotz der Politisierungserfahrungen (in zahlreichen Kriegen) und des Politisierungspotenzials (an der Spitze der Währungshierarchie stehend) durch? Die Aufarbeitung historischer Konjunkturen verspricht, Fragen nach den Temporalitäten, Beharrungskräften und Rekursen von Entpolitisierungsprozessen beantworten zu können.

Das Dissertationsprojekt untersucht also Sequenzen aus der US-amerikanischen Geschichte des 20. Jahrhunderts, die zunächst eine kriegsbedingte Institutionalisierung außergewöhnlicher Geldpolitik, sodann einen Abbau institutioneller Arrangements politisierten Geldes nach dem Krieg und die Verstetigung entpolitisierter Geldpolitik umfassen. Prozesse der geldpolitischen Institutionalisierung lassen sich anhand verschiedenster Materialien nachvollziehen: Debatten in Parlament und Öffentlichkeit, Rechtstexte, Urteile, Kommentare und Zentralbankprotokolle dokumentieren, wie sich Vorstellungen und Repräsentationen von den zu regelnden Prozessen durchsetzen und verhärten. Vorstellungen und Repräsentationen von sozialen Prozessen nehmen wiederum narrative Formen an, die auf eine erzähltheoretisch informierte Weise zu analysieren sind:  Wie verändern sich in und nach US-amerikanischen Kriegen Gelderzählungen, also narrative Beschreibungen monetärer Prozesse in Debatten, Rechtstexten, Urteilen, Kommentaren und Zentralbankprotokollen?