Wann ist Frieden?

Konzepte, Aushandlungen und Repräsentationen von Transitionsprozessen am Ende des 20. Jahrhunderts
Projektstart: April 2014

Dem Ende von Kriegen oder Gewaltkonflikten wohnt weder der Automatismus zum Frieden inne, noch stellt dieser sich als ein fixer politischer und sozialer Zustand dar. Frieden ist ein fragiler Zustand, immer in Aushandlung begriffen und von individuellen und kollektiven Entscheidungen abhängig.

Dem Übergang von dem einen in den anderen Zustand liegt eine besondere Spannung und Bedeutung zugrunde. Der Zustand zwischen Krieg und Frieden ist einerseits eng verknüpft mit den Kriegsformen und der Gewalterfahrung zuvor und andererseits mit den Bedingungen der Befriedung. Hierzu zählen in der Regel internationale Vereinbarungen und Formen von transitional justice, aber auch die gesellschaftlichen Voraussetzungen für gegenseitige Anerkennung und Verständigung. Nicht nur die Gewalt, die eingesetzt wird um Kriege und Gewaltkonflikte zu beenden, sondern auch die verschiedenen Modi der Nachkriegsgewalt haben Folgen für die (In)Stabilität des Friedens. Die Übergangssituationen stellen sich jeweils sehr spezifisch dar und ebenso unterschiedlich sind auch die Einschätzungen darüber, ab wann tatsächlich von Frieden gesprochen werden kann.

"Utopische Momente" (Jay Winter), die einen dauerhaften Frieden versprechen, gab es immer wieder – zumal und gerade unmittelbar in der Zeit des politischen Umbruchs Anfang der 1990er Jahre. Nach einer kurzen Phase der Euphorie dominierten allerdings Deutungen der Unordnung, Unübersichtlichkeit und Unsicherheit. Aktuell wie historisch ist die spannende Frage, unter welchen Bedingungen eine Nachkriegssituation als befriedet gilt, wer darüber auf regionaler, nationaler und internationaler Ebene entscheidet und wie diese Einschätzungen im Laufe der Zeit das Verständnis von Frieden, internationaler Sicherheit und zudem von Zivilgesellschaft und Demokratie beeinflusst haben.

Im Zentrum des Projekts steht - anders als in der überwiegenden Zahl historischer Studien, die sich mit den Wegen in die Gewalt und/oder Aspekten der Kriegsführung beschäftigen - die Frage, wie und unter welchen Bedingungen Gesellschaften die Gewalt beenden und inwiefern dies Teil von grenzüberschreitenden sozialen und medialen Aushandlungs- und Interaktionsprozessen ist. Das Projekt knüpft sowohl an die historische Gewaltforschung als auch an Debatten der Friedensforschung an und wechselt dann die Perspektive, um nach unterschiedlichen Akteuren und Wahrnehmungen, Ideen und Interessen zu fahnden, die in Friedensprozessen wirkten und die politisch-öffentliche Agenda bestimmten.

Ausgehend von Entwicklungen der Bundesrepublik der 1980er Jahre wird gefragt, wie Deutungseliten (think tanks, Wissenschaft, Medien, Akteure der sozialen Bewegungen) vor allem in den 1990er Jahren konkrete Übergänge in Nachkriegssituationen beziehungsweise post-conflict-situations vor allem in Europa, aber auch in Lateinamerika und Afrika und beobachteten, interpretierten und dem eigenen (heimischen) Publikum vermittelten.
So werden in einem ersten Schritt Personen und Orte der Friedensdiskurse identifiziert und analysiert, nicht nur innerhalb deutscher, sondern auch europäischer und transatlantischer Netzwerke.

Im zweiten Schritt geben die von Beobachtern und medialen Deutungseliten geleisteten Urteile und Abwägungen über Krieg und Frieden auch den Blick auf deren eigenes Verständnis von gesellschaftlicher Ordnung, Zivilität und Demokratie frei. Hierdurch werden nicht nur Diskussionsstränge politischer Selbstvergewisserung aufgedeckt, sondern auch die Dynamik von Friedensideen, die als normative Leitlinien in einer Zeit des politischen Wandels und der internationalen Fragmentierung zwar fragiler, aber niemals obsolet wurden.

Die Zäsur von 1989/90, die das Ende des Kalten Krieges und den Beginn einer "neuen Weltordnung" markiert,  soll mit dem Untersuchungszeitraum von den 1980er bis in die 1990er Jahre  überschritten werden, um längerdauernde Denk- und Deutungstraditionen sichtbar machen zu können. Die Frage "Wann ist Frieden?" bildet den Ausgangspunkt für eine diskursanalytische und gesellschaftsgeschichtliche Perspektive, um den Übergang vom Ende des Kalten Krieges in die 1990er Jahre zu historisieren. So wird ein Zugang zur jüngsten Zeitgeschichte eröffnet, der die normative Funktion sowohl von Friedenskonzepten als auch Gesellschaftsbildern und Ordnungsmustern in politischen Diskussionen der vergangenen 30 Jahre untersucht.

(Stand Oktober 2014)