Praktizierte Versprechen

Eine Soziologie des europäischen Geldes
Projektstart: April 2010

In dem Projekt geht es um einen Blick auf strukturelle Veränderungen in der Praxis der Kreditgeldreproduktion, die eine Revision geldtheoretischer Semantiken fordern. Argumentiert wird in drei Schritten.

I. Bislang hat  die Soziologie, wenn sie sich für Geld interessierte, in der Regel nach den Einsatz- und Existenzbedingungen oder den gesellschaftlichen Auswirkungen eines universellen Tauschmittels gefragt. Dabei wurden ökonomische Modelle unkritisch übernommen, die auf eine einfache Analogie von Aristoteles zurückgehen: Geld, so hatte der antike Philosoph erklärt, sei selbst nichts anderes als eine besonders begehrte Ware. Ein wertvolles ‚Ding‘, das man besitzen, herumreichen, horten oder investieren kann; eine Metatheorie, die seit dem explizit oder implizit den Diskurs dominiert.  Heute aber existiert monetäres Guthaben nicht mehr als ein solch selbstständiges Objekt, sondern es ist ein financial asset – eine terminierte soziale Beziehung, in der es einen Gläubiger und einen Schuldner gibt. Mit Geld meinen wir befristete Zahlungsversprechen in den Bilanzen von Banken.

II.  Die tauschlogische Konzeptualisierung des Geldes beruht in der Regel auf einer klassischen Interpretation des Bankensektors als einer sozialen Praxis der Interaktion von Anbietern und Nachfragenden von Kapital, das von der Zentralbank bereitgestellt wird. Damit wird sowohl in der dominanten ökonomischen wie soziologischen Theorietradition eine, für die soziale Funktionsbestimmung des Geldes entscheidende Analogiethese vertreten. Man nimmt an, der Umgang mit Geld im alltäglichen Tauschgeschäft der Wirtschaft sei für alle privaten Akteure als ein Umgang mit Knappheit zu deuten – Wirtschaft wird als Nullsummenspiel verstanden. Die in der Ökonomie als "Endogenität" verhandelten strukturellen Umbrüche des zwanzigsten Jahrhunderts allerdings lassen private Geschäftsbanken in ihren Verschuldungsentscheidungen von gegebenen Mengen an Eigentum autonom werden. Sie sind in die Umwelt des Nullsummenspiels abgewandert.

III. Damit ist das Kreditgeld insgesamt nicht mehr als eine schlicht vorhandene, den ökonomischen Austausch dynamisierende und die Begrenztheit der Ressourcen und Mittel dabei bloß repräsentierende, ‚künstliche Knappheit‘ zu beschreiben. Vielmehr handelt es sich um einen endogen getriebenen und gesteuerten Prozess des Angebots, der Bewertung, des Bruchs und der Erfüllung von Versprechen. An eine solche prozessuale Praxis ist die Frage zu richten, wie hier die Kontinuität eigentlich nicht prognostizierbarer Zukunft sichergestellt wird. Soziologisch bedeute das, den Modus eines fungierenden Praxisvertrauens aus den konkreten "Vertragsformen des Kredits" (Hyman Minsky) zu rekonstruieren. Das Projekt will diesem Modus von Praxisvertrauen der Finanzindustrie auf die Spur kommen und ihn an den geldtheoretischen Wissensbestand rückbinden.

(Stand Dezember 2014)

Das Buch

Im März 2017 ist Aaron Sahrs Buch Das Versprechen des Geldes in unserem Verlag Hamburger Edition erschienen.