Den Krieg befrieden – den Frieden bekriegen
In dem Forschungsprojekt wird der Prozess der Rekonstruktion imperialer Ordnung im heutigen Russland am Beispiel der nordkaukasischen Region untersucht. Damit wird eine Region in das Zentrum gestellt, die seit dem 18. Jahrhundert einen hochgefährdeten multiethnischen und multireligiösen Gewaltraum der imperialen Peripherie darstellte und dabei stets konkurrierenden "äußeren" Integrationsangeboten ausgesetzt war.
"Transkaukasien" war das "Pulverfass" des zarischen und sowjetischen Imperiums. Diesen Ruf verteidigte die Region in den 1990er Jahren durch die Tschetschenienkriege und bestätigt ihn gegenwärtig als Einflugschneise islamistischer Gruppierungen beispielsweise in Dagestan. Nach den jüngsten Kriegen verfolgte das imperiale Zentrum eine politische Pazifizierungsstrategie, die den Nordkaukasus als ökonomische Aufstiegszone an der Peripherie etablieren und mit Zugeständnissen an nationale und ethnische Autonomie Loyalität generieren sollte; ein Unternehmen, das Muslime etwa der Zentralen geistlichen Verwaltung der Moslems und des Islamischen Kulturzentrums Russlands begrüßt haben. Gleichzeitig steigt jedoch der Einfluss des islamistischen Terrors, der die starke Gewaltpräsenz Moskaus herausfordert und so die erwähnten Pazifizierungsstrategien untergräbt.
Alles in allem präsentiert sich hier auf den ersten Blick eine klassische imperiale Situation: Der Versuch, Gewaltkonflikte und Bürgerkriege zu befrieden, evoziert Konflikte und Gewalt, die Aushandlungsprozesse und Friedenssituationen infrage stellen.
Ausgehend von der theoretischen Überlegung, dass Krieg und Frieden in Imperien keine chronologisch aufeinanderfolgenden Ordnungen darstellen, wird die Gleichzeitigkeit von Krieg und Frieden – von wirtschaftlicher Modernisierung, sozialer Pazifizierung, staatlicher Gewalt und Terrorismus – als eine Option prekärer sozialer Ordnung in den Blick genommen. Diese prekäre Ordnung der Gleichzeitigkeit von Krieg und Frieden ist, so die These, gegenwärtig nicht nur, aber vor allem in imperialen Gesellschaften wieder präsent. Sie prägt die post-sowjetische Realität deutlich stärker, als die politische Rhetorik von der bloß gewaltgeladenen Rekonstruktion der Sowjetunion vermuten lässt. Imperiale Herrschafts- und Aushandlungsstrategien treten als analytischer Zugriff zum Verständnis der Zeitgeschichte Osteuropas kaum in Erscheinung. Die Methoden und Instrumente der neueren Imperiumsforschung bieten jedoch in diesem Zusammenhang den Vorteil, populäre Defizit- und Rückständigkeits- und Gewalterzählungen infrage zu stellen, die häufig entstehen, wenn normativ aufgeladene Vorstellungen eines westlichen Demokratiemodells auf nichtdemokratische Gesellschaften übertragen werden.
In dem Projekt geht es um die These, dass die imperiale Situation zwischen befriedetem Krieg und bekriegtem Frieden keinen Ausnahmezustand bildet, sondern das Imperium auf Dauer stellt.
(Stand Oktober 2014)
Information
Wir graulieren unserer Kollegin <link ueber-uns mitarbeiter aktuell person weber-claudia details _self>Prof. Dr. Claudia Weber zu ihrer Berufung an die Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder).