Generation des Unbedingten
(Stand Mai 2002)
Am 27. September 1939 entstand unter der Führung von Reinhard Heydrich aus Geheimer Staatspolizei, Kriminalpolizei und Sicherheitsdienst der SS (SD) das Reichssicherheitshauptamt (RSHA). Es stellte die konzeptionelle und exekutive Kristallisation einer genuin nationalsozialistischen Polizei dar, die ihre Aufgabe in der rassischen "Reinhaltung des deutschen Volkskörpers" und völkischen Neuordnung Europas sah. Das Führungskorps des RSHA, verantwortlich für die Verfolgung und Vernichtung der europäischen Juden, bildete die "Kerngruppe des Genozids" (Ulrich Herbert).
In dem im Jahr 2001 abgeschlossenen Forschungsprojekt, dessen Ergebnisse im Frühjahr 2002 in der Hamburger Edition als Buch unter dem Titel "Generation des Unbedingten. Das Führungskorps des Reichssicherheitshauptamtes" veröffentlicht wurden, basiert auf einer Untersuchung von 221 Biographien der Amtschefs, Gruppenleiter und Referenten des RSHA.
Es war die Kriegsjugend, der die "Bewährung an der Front" fehlte, aus der Heydrich seine Führungskräfte rekrutierte. Über drei Viertel von ihnen waren nach 1900 geboren worden. Sie entstammten keineswegs aus den sozialen Rändern der Gesellschaft, sondern war Teil der bürgerlichen, akademisch ausgebildeten Elite. Zwei Drittel hatten studiert und nahezu ein Drittel, das entspricht knapp der Hälfte aller Studierten, hatte zudem einen Doktorgrad erworben. Führerschaft, Tat, Idee - das sind die Elemente, um die das politische Denken dieser jungen Männer kreiste. Führerschaft gründete sich auf das Wissen um die organische Entwicklung von Natur und Volk und bestätigte sich durch die Tat. Diese Akademiker verstanden sich keineswegs als Stubengelehrte oder Technokraten, im Gegenteil, nur in der Praxis zeigte sich der Erfolg der Theorie.
Der politische Sieg der Nationalsozialisten 1933 eröffnete diesen jungen Männern einen Aufstiegs- und Machthorizont, dessen Dimension sie damals kaum erahnen konnten. Mit dem RSHA bot sich ihnen eine spezifisch nationalsozialistische Institution, die ebenso wie ihre Weltanschauung an keinerlei Grenzen gebunden sein sollte. Nicht Bürokraten, sondern eine »kämpfende Verwaltung« hatte Heydrich gefordert. Es gab kaum einen Führungsangehörigen des RSHA, der nicht einem Einsatzkommando in den besetzten Gebieten angehört hätte. Sie verbanden ihre Arbeit in der Zentrale in Berlin mit der Praxis vor Ort, vollzogen die terroristische Besatzungsherrschaft nicht nur per Erlaß und Verfügung jenseits des Geschehens, sondern praktizierten den Terror. Das RSHA als Institution agierte als bewegliche, flexible Organisation, deren Zentrale zwar in Berlin war, deren Kraft und Macht sich jedoch vor Ort entfaltete. Der Krieg im Osten bot den Raum, um den Prozeß der Radikalisierung in den Völkermord münden zu lassen.
Den Massenmord hatten die Akteure des RSHA zu Beginn des NS-Regimes nicht im Kopf. Aber der Genozid war als Möglichkeit ihrem Denken inhärent. Die Bereitwilligkeit, mit der sich Intellektuelle, Akademiker, Wissenschaftler an den monströsesten Massenverbrechen beteiligten, jene Faszination, nicht nur schönere Welten zu entwerfen, sondern sie selbst schreckliche Wirklichkeit werden zu lassen, finden sich auch in den Biographien der RSHA-Elite. Es war diese Verbindung aus weltanschaulicher Aufladung, konzeptioneller Radikalität, entregulierter Institutionen wie dem RSHA und entgrenzter Machtpraxis, die jenen Prozeß der Radikalisierung freisetzen konnte, der in den systematischen Völkermord mündete.