Protestantismus und Nationalsozialismus

Studien zur nationalsozialistischen Durchdringung des protestantischen Sozialmilieus am Beispiel Berlins, 1930 - 1950

(Stand 1998)

In der sozial- und mentalitätsgeschichtlich ausgerichteten Untersuchung sollen die Beziehungen zwischen Protestantismus und Nationalsozialismus in ihren vielfältigen Affinitäten und Verflechtungen, ihren Differenzen und Dissonanzen dargestellt werden. Im Zentrum der flächendeckenden Regionalstudie steht nicht die Kirche als bürokratische Institution, sondern die Genese konkurrierender religiöser Bewegungen im Protestantismus (Deutsche Christen vs. Bekennende Kirche) sowie deren soziale und kulturelle Einbindungen in die NS-Gesellschaft. Alltagsleben und Konfliktverhalten in knapp 150 großstädtischen Kirchengemeinden sowie das biographische Material von 565 Gemeindepfarrern bilden die zwei zentralen Untersuchungsebenen. Das anfallende Belegmaterial für protestantischen Antisemitismus in unterschiedlichsten Spielarten zeigt sich als überwältigend dicht. In weitergefaßter historischer Perspektive erweist sich nationalprotestantische Mentalität als überragender Grundzug protestantischer Tradition und Identität, die zustimmend, ja weithin begeistert in das historische Großereignis 1933 einmündete.

Das in Nachkriegszeiten konstruierte Geschichtsbild vom Kirchenkampf - ein reduziertes und eher unbewußt verzerrendes Selbstbildnis von Beteiligten, das von der Geschichtswissenschaft weithin ungeprüft übernommen wurde - erscheint revisionsbedürftig: Nicht sosehr die Konfrontationen rechtgläubiger Christen mit dem antichristlichen NS-Staat, sondern Bruderkampf im eigenen Haus, ein scharfer innerprotestantischer Kampf konträrer Glaubensrichtungen um das jeweilige Maß protestantischer Eingliederung in den NS-Staat, bestimmte vor allem das Geschehen.