Der digitale Kapitalismus

In Zeiten von Online-Shopping, Clickworkern und Pflegerobotern ist vielfach von einem Technisierungsschub neuer Qualität die Rede, der einen tiefgreifenden und ambivalenten Wandel von Arbeit und Wirtschaft erzeugt. Dabei überschreitet die Digitalisierung der Ökonomie tradierte Sektorengrenzen, soll ungeahnte Produktivitätsimpulse freisetzen und neuen Organisationsformen von Arbeit den Weg bereiten. Neue Roboter-Generationen sind beispielsweise zu Orientierung und Handeln in sich verändernden Umwelten fähig. Sie sollen die industrielle Produktion revolutionieren, zugleich aber auch in immer mehr Dienstleistungsberufen zum Einsatz kommen. Die ‚smarten‘ Maschinen versprechen ungeahnte Wachstumsimpulse zu stiften, stehen aber auch für das Risiko massiver Beschäftigungsverluste. Zugleich propagieren Techniker und Unternehmer der Digitalisierungsgiganten und der um sie kreisenden Start-Up Planeten die Idee ‚disruptiven‘ Wandels. Ihr Streben richtet sich auf die Revolutionierung  etablierter Märkte, wobei sowohl neue Geschäftsmodelle entstehen als auch etablierte Arrangements aufgelöst werden. Digitale Arbeitsvermittlungsportale verbinden zudem Kunden und Auftraggeber weltweit, projizieren aber zugleich eine Arbeitswelt der Zukunft, in der die Bindung an ein Unternehmen und die damit verbundene soziale Sicherung nur noch Schatten der Vergangenheit sein könnten. In der ‚old economy‘ ist die Sozialintegration der Beschäftigten - etwa in Form von Mitbestimmung, Arbeitsrecht und der Teilhabe am Sozialversicherungssystem - nach wie vor über die Betriebsmitgliedschaft geregelt. In den Leitunternehmen der Digitalisierung dagegen entwickeln sich Arbeitsmodelle, in denen ‚algokratische‘ Rekrutierungsplattformen den Zugriff der Firmen auf Arbeitskraft ermöglichen, ohne dass für sie dabei die ‚Unkosten‘ betrieblicher Integration anfallen.

Die Transformationen von Wertschöpfungsquellen, Märkten, Herrschaftskonfigurationen und Arbeitsorganisationen, die sich in Leitunternehmen der Digitalisierung, wie Google oder Amazon exemplarisch beobachten lassen, sind mit den klassischen Theoremen der Wirtschaftssoziologie nicht präzise zu erfassen. So zeichnen sich beispielsweise Monopolisierungsprozesse ab, wo der Theorie nach der freie Markt der Vielen herrschen sollte. Wertschöpfung erfolgt etwa in der ‚Sharing-Economy‘ jenseits der klaren Struktur der Übertragung von Eigentumsrechten, die wirtschaftliche Transaktionen üblicherweise prägt. Die Grenzen zwischen Arbeitnehmern und Kunden lösen sich in kollaborativen Produktions- und Konsumtionsprozessen sukzessive auf.

Sind wir also Zeugen radikaler sozio-ökonomischer Transformationsprozesse oder dominieren bei der Digitalisierung der Wirtschaft am Ende doch nur inkrementelle Veränderungen? Tritt in der digitalen Ökonomie ein neuer Geist des Kapitalismus zum Siegeszug an,  der unsere Art zu wirtschaften von Grund auf verändert oder handelt es sich bei vielen der benannten Modelle lediglich um die Phantasmen findiger Ideenunternehmer und Beratungsunternehmen? Bieten die neuen Technologien, wie viele Analysten hoffen, eine neue Quelle ökonomischer Prosperität oder erzeugen sie gar massive soziale Verwerfungen? Dies sind Fragen, denen sich das Projekt mit Blick auf eine Theorie des digitalen Kapitalismus widmet.