Ungleichheitskonflikte in Europa "Jenseits von Klasse und Nation"

Projektstart: September 2014

Wenn ökonomische Regime und staatliche Ordnungszusammenhänge sich wandeln, dann verändern sich die Wahrnehmung und Beschreibung von gesellschaftlichen Ungleichheiten. Die erprobten Muster werden unbrauchbar, weil etablierte Vergleichsmaßstäbe und institutionalisierte Prinzipien der Unvergleichbarkeit, wie zum Beispiel die Unvergleichbarkeit sozialrechtlicher Ansprüche von In- und Ausländern, aus dem Lot geraten. Um dem Ungerechtigkeitsempfinden im Hinblick auf Ungleichheiten politisch Ausdruck verleihen zu können, braucht es eine neue Sprache. Zudem greifen bisher eingeübte Formen der Konfliktbearbeitung und institutionalisierte Konfliktregelungen nicht mehr. Sie verlieren nicht nur an Wirkung sondern auch an Legitimität. Darüber hinaus stellen solche Veränderungsprozesse die gesellschaftsanalytischen Paradigmen infrage, mit denen bisher Ungleichheiten gemessen wie eingeordnet und Konfliktkonstellationen erklärt wurden bzw. das Nicht-Zustandekommen von Konflikten begründet wurde.

Die interdisziplinär besetzte Arbeitsgruppe wird ihren Blick in soziologischer und historischer Perspektive auf Ungleichheitskonflikte in Europa richten. Im Zentrum stehen Genese, Praxis und Bearbeitung von Konflikten. Gefragt wird nach den Modalitäten, mit denen Individuen oder Kollektive in Konflikten einen Anspruch auf Gleichheit und Gleichwertigkeit äußern und institutionalisierte Formen der Konfliktbearbeitung infrage stellen. Unter konflikttheoretischen Gesichtspunkten werden die sich wandelnden Bedingungen für die Thematisierung von Ungleichheiten in den Blick genommen. Der analytische Ausgangspunkt sind Handlungszusammenhänge, in denen die Konfliktakteure Probleme in Bezug auf soziale Gleichheit und gesellschaftliche Gleichwertigkeit thematisieren bzw. zu lösen versuchen. "Jenseits von Klasse und Nation" (Ulrich Beck), das heißt jenseits von etablierten strukturanalytischen Paradigmen, richtet sich der historisch-soziologische Fokus der Arbeitsgruppe auf die gesellschaftlichen Asymmetrien, Kategorisierungen und Wertmaßstäbe, die als ungerechte Ungleichheiten anhand von Konflikten problematisiert und mit Konfliktregelungen bearbeitet worden sind und werden. Darüber hinaus geht es um die Überschneidungen, Unterscheidungen und Verschiebungen, die die Konfliktakteure – Kollektive, Individuen, Korporationen oder Staatsvertreter – zwischen den problematisierten Bedingungen der Existenzsicherung und den gestellten Ansprüchen auf Freiheit wie gesellschaftliche Wertschätzung vornehmen.

Die Arbeitsgruppe verbindet ihr Nachdenken über Ungleichheitskonflikte mit der Untersuchung von Europäisierungsprozessen, in denen sich ökonomische Regime und/oder staatliche Ordnungen wandeln. Europäisierungsprozesse verschieben und verändern Maßstäbe und Kategorisierungen in der Bestimmung von Gleichheit und Gleichwertigkeit. Sie eröffnen Vergleichsmöglichkeiten, Mobilitätsformen und Handlungsbühnen, durch die die etablierten Ordnungszusammenhänge der gesellschaftlichen Beziehungen wie auch Normen in Bezug auf angemessene Lebensqualität und legitime Gleichheits- sowie Gleichwertigkeitsansprüche infrage gestellt werden. Insofern erwachsen aus Europäisierungsprozessen Konfliktdynamiken, deren Thematisierungs- und Bearbeitungsformen offene Fragen sind.

Die Arbeitsgruppe greift auf Ergebnisse einer Arbeitsgruppe mit dem Titel "Socio-histoire der Europäisierung. Sozialpolitik, rechtliche Gleichbehandlung und öffentliche Dienstleistung im Wirbel europäischer Maßstäbe" zurück.

(Stand Sepember 2014)

AG "Strukturwandel der Konfliktbearbeitung in Europa"

Die Arbeitsgruppe am Heidelberger MPI für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht baut auf die Erfahrungen von zwei im Hamburger Institut für Sozialforschung durchgeführten Arbeitsgruppen auf: die eine zur socio-histoire der Europäisierung von Sozialpolitik, öffentlichen Dienstleistungen und Gleichheitsvorstellungen und die andere zu Konflikten, die mit Europäisierungsprozessen verbunden sind.