Rechte Geistesarbeit: Intellektuelle Praktiken der radikalen Rechten in Deutschland und Frankreich
Mein Forschungsprojekt befasst sich mit den Praktiken, die dem intellektuellen Arbeiten, d.h. dem Erdenken, Schreiben und Veröffentlichen von Argumenten, innerhalb des rechtsradikalen Milieus zugrundeliegen. Ausgehend von der Beobachtung, dass der Anspruch radikal rechter Akteur:innen, intellektuell zu sein und zu arbeiten, oftmals rundheraus zurückgewiesen wird, will ich versuchen, eine alternative Perspektive einzunehmen: Untersucht werden soll, wie die Theorieproduktion an den Denkorten und -fabriken der Rechten überhaupt funktioniert.
Was, so lautet die simple Kernfrage, geschieht in diesem speziellen Soziotop, bevor ein Argument in Textform gebracht und veröffentlicht wird – und damit in jenes Medium übertragen, über das uns intellektuelles Tun üblicherweise zugänglich gemacht wird, das aber nur selten über die sozialen Bedingungen informiert, unter denen es entstanden ist. Wie wurde es diskutiert? Und wo? Welche Teile wurden gestrichen, überarbeitet, verteidigt? Was war unstrittig und konnte als selbstverständlich vorausgesetzt werden? Wie ist eine Idee, ein Gedanke, ein Argument in die (soziale) Welt gekommen? Dabei handelt es sich um Fragen, die sich gewiss nicht nur in Bezug auf rechte Akteur:innen stellen. Intellektuelle werden wohl ohnehin eher an anderer Stelle des politischen Spektrums vermutet – sind doch gerade die großen Ikonen des Intellektuellen häufig dezidiert links verortet. Aber genau hierin liegt, so meine Ausgangsthese, eine Möglichkeit, neu über die Sozialfigur des Intellektuellen nachzudenken. In diesem Sinne dienen rechte Akteur:innen mir auch dazu, mich mit meinem Gegenstand – dem intellektuellem Tun – wieder unvertraut zu machen und neu über ihn nachzudenken. Es geht mir in diesem Projekt also weder um eine klassische Ideengeschichte, noch um die Untersuchung einer (politischen oder sozialen) Bewegung im engeren Sinne. Mein Ziel ist es, eine soziologische Perspektive darauf zu entwickeln, wie Denk- und Theoriearbeit in rechten Kreisen praktiziert wird – vor allem auch im Kontrast dazu, wie ansonsten in der soziologischen Literatur über Intellektuelle geschrieben wird.
Empirischer Fokus sind dabei deutsch- und französischsprachige Akteur:innen der so genannten „Neuen Rechten“. Im deutschen Sprachraum also etwa das Umfeld des Instituts für Staatspolitik in Schnellroda und der Bibliothek des Konservatismus in Berlin, aber auch jüngere Unternehmungen wie etwa die GegenUni; in Frankreich jene Publikationen und Kreise, die sich aus den Aktivitäten der Groupement de recherche et d’études pour la civilisation européenne (GRECE) ergeben haben, also etwa die ursprünglich durch GRECE-Mitglieder gegründeten Magazine Éléments und Nouvelle École, das Institut Iliade, das sich einer Fortsetzung des Denkens Dominique Venners widmet, oder die Pariser Buchhandlung La Nouvelle Librairie, die als Treffpunkt und als Verlagshaus so viele rechte Fäden zusammenführt. Wenngleich nicht als konsequentes Vergleichsdesign angelegt, so ist es für dieses Forschungsprojekt sinnvoll, das deutsche und das französische rechtsintellektuelle Milieu gegenüberzustellen. Beide sind durch auffällige Gemeinsamkeiten und personelle Kontinuitäten verbunden – so beruft man sich in der französischen Rechten etwa immer wieder auf die deutschen Autoren der so genannten „Konservativen Revolution“, die zeitgenössische Rechte in der Bunderepublik hingegen lehnt sich stark an GRECEs Führungsfigur Alain de Benoist und seine Rezeption dieser deutschen Autoren an – und gleichzeitig grundsätzlich voneinander verschieden. Nicht nur, weil sich in beiden Staaten auf ganz verschiedene – nationale bzw. nationalistische, konservative oder völkische, eben unterschiedlich rechte – Traditionen berufen werden kann, sondern vor allem auch deshalb, weil sie sich in der Wirkmacht ihres intellektuellen Tuns unterscheiden: Nicht nur ist in Frankreich der intellektuelle Anspruch rechter Akteur:innen viel weniger umstritten, auch finden sie in deutlich größerem Ausmaß (kritische und befürwortende) Resonanz. Im Spannungsfeld aus Gemeinsamkeiten und Unterschieden lassen sich, so die Idee, die verschiedenen Praktiken und sozialen Bedingungen der Theoriearbeit besonders gut beobachten.