Macht und Recht

(Stand Februar 2008)

Das Projekt fragt nach der Form der politischen Philosophie. Wie muss sie beschaffen sein, wenn sie der heutigen Gestalt der sozialen und politischen Welt gerecht werden will. Ist eine politische Philosophie noch möglich, in dem ihre traditionellen Fragen nach Recht und Gerechtigkeit, dem guten Leben sowie den Legitimitätsbedingungen der Macht, bisher gestellt wurden, wenn der Rahmen des Nationalstaats seine zentrale Position einbüsst? Soll die Forschung den „methodologischen Nationalismus“ aufgeben? Wie kann in diesem Fall eine Reflexion aussehen, die die spezifischen Züge der zeitgenössischen Formen des kollektiven Lebens erklären will und gleichzeitig einige Wertorientierungen fixieren möchte, die dem politischen Handeln einen anderen Sinn geben, als den, bloßes Management der Folgen wirtschaftlicher Gesetzmäßigkeiten zu sein?

Ausgangspunkt des Projekts ist ein Begriff der subjektiven Rechte, der auf Webers Rechtssoziologie basiert. Weber war zwar ein Verfechter des Nationalstaats, als Soziologe und Historiker aber hat er eine Definition des Rechts gegeben, die eine extensive Anwendung dieses Begriffs ermöglicht. Unter modernen politischen Verhältnissen ist es die Sache des Staates, die subjektiven Rechte zu garantieren. Vor seiner Institutionalisierung wurde diese Funktion jedoch durch andere Kollektive - in Webers Worten: durch andere „Rechtsgemeinschaften“ - gewährleistet. Die Spezifizität des modernen Staates bestand nicht in der Garantie dieser Rechte, sondern darin, dass er sich diese Garantie zu Eigen machte, indem er sie den übrigen Rechtsgemeinschaften entzog. Nach dieser Interpretation erscheint Webers berühmte Definition des Staates durch das Monopol der legitimen Gewalt als eine Theorie der Souveränität, die sich von der Tradition der modernen politischen Philosophie (Vertragstheorien) nur darin unterscheidet, dass sie den Ort der Macht bestimmt, aber die Frage ihrer Begründung offen lässt. Trotz dieser normativen Gleichgültigkeit beinhaltet Webers Bestimmung des Staates keine ontologische These, die einen notwendigen Zusammenhang zwischen Gewalt und Macht behaupten würde (Arendts Ausdeutung), sondern die Zusammenfassung einer Interpretation miteinander verquickter Geschichten der subjektiven Rechte und der politischen Verbände.

Der Begriff des subjektiven Rechts wird anders als im historischen Verständnis in der rechtstheoretischen Dogmatik häufig bestritten. Zwar versuchte Webers Zeitgenosse und Freund Georg Jellinek dem subjektiven Rechtsbegriff eine systematische Begründung zu geben, doch wurde dieser zumeist nur mit Vorbehalten angenommen (Hans Kelsen) oder sogar scharf abgelehnt (Léon Duguit, Michel Villey). Zentraler Kritikpunkt war die unterstellte Verbindung des subjektiven Rechtsbegriffs mit dem des Naturrechts, d.h. all der Rechte, die ein Individuum als natürliches Wesen beanspruchen kann. In einer historischen Perspektive kann der Begriff der subjektiven Rechte jedoch von dem des Naturrechts entkoppelt werden, indem die Individualisierung der Rechte, die dem heutigen Begriff der subjektiven Rechte zugrunde liegt, als das Korrelat der Errichtung der Staatsouveränität verstanden wird.

Eine solche Interpretation lässt einen Blick auf die Veränderungen des Politischen zu. Versteht man Staatssouveränität als eine Form der Beziehung zwischen Macht und Rechten, kann man ihre Eigenartigkeit hervorheben. Die Monopolstellung des Staates mit seiner Fähigkeit Rechte zu garantieren, ist in der Geschichte des Abendlands und auch im Rahmen einer komparativen Kulturgeschichte eine Ausnahme. Es scheint daher sinnvoller - statt die Aushöhlung der Staatsmacht im Lichte ihrer gestrigen Hegemonie zu interpretieren (eine Perspektive, die oft dazu führt, dass ihre Überwindung nur in Form einer Bildung von internationalen bzw. supranationalen Institutionen möglich erscheint) - auf die hierarchischen Vorstellungen des Politischen verzichten. Die Erosion der Staatsouveränität kann dann im Zusammenhang der Vervielfachung der Mächte und ihrer Deterritorialisierung verstanden werden. Dann steht nicht mehr die Frage nach den Bedingungen der legitimen Macht im Zentrum der politischen Philosophie, sondern die nach den neu zu gestaltenden Bedingungen der subjektiven Rechte auf der Tagesordnung. Der politische Bürger ist dann weiterhin als Rechtssubjekt, als ein Subjekt, mit Anspruch auf schon fixierte oder noch umzusetzende Rechte zu verstehen. Sein Schicksal jedoch spielt sich dann in einem nicht mehr hierarchisch zu organisierenden Komplex von Institutionen ab, sondern in einem, in dem der Staat nur eine Institution unter anderen ist.

Eine Philosophie, die diese Dezentralisierung des Politischen aufnimmt, müsste auf den durch die Theorien der Staatsouveränität bedingten starken Universalismus verzichten, ohne dazu gezwungen zu sein, jeden normativen Anspruch aufzugeben. In diesem Projekt wird gefragt, welche Gestalt die Demokratie annehmen kann unter den Bedingungen dieser nicht-hierarchischen Pluralität der Mächte, die Rechte garantieren können. In diesem Zusammenhang werden die Positionen von Autoren (wie Claude Lefort, Toni Negri oder Jacques Rancière) diskutiert, die Demokratie nicht statisch als Regierungsform, sondern dynamisch als beständige Infragestellung der etablierten Institutionen verstehen. Institutionalisierung als solche wird von den Autoren abgelehnt bzw. als demokratiegefährdend betrachtet. Die liberalen Demokratien sind aber das Ergebnis eines produktiven Widerspruchs zwischen dem Suchen nach einer Regierungsform, die sich auf eine rechtlich begrenzte Teilnahme des Volkes an ihrer Herstellung und Reproduktion stützt und den, während der letzten beiden Jahrhunderten, wiederholten Überschreitungen der rechtlich fixierten Formen dieser Teilnahme. Es geht um die Ausarbeitung eines Demokratiebegriffs, der Institutionalisierung und Kritik der etablierten Institutionen umfasst.

Die These des Projekts lautet: Ein dynamischer Begriff der Demokratie verkennt nicht die Bedeutung der Institutionen und bezieht sich auf die Pluralität der Mächte, die auf der Ebene der Weltgesellschaft imstande sind, bloß subjektive Ansprüche in garantierte Rechte zu verwandeln.